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Rocking Horse Road (German Edition)

Rocking Horse Road (German Edition)

Titel: Rocking Horse Road (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Nixon
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solange es dauerte, und blieben gelassen, wenn es zu Ende war.
    Einige aber schienen sich ernsthaft in Carolyn zu verknallen. Sie begingen den Fehler, sie wiedersehen zu wollen, nachdem sie Schluß gemacht hatte. Wenn einer sie dann anrief oder auf der Straße anhielt, tat sie so, als hätte sie ihn noch nie gesehen. Einer, der ihr nachgelaufen war, erzählte uns erst vor zwei Jahren: »Ich bin nur etwa eine Woche mit ihr gegangen, aber sie war so was wie eine Sucht. Sogar jetzt noch, wenn ich ein Mädchen sehe, das ihr irgendwie ähnlich sieht, kriege ich einen Ständer.«
Wir waren derart auf Lucy fixiert, daß sie sogar in unseren Träumen auftauchte. Wir haben damals so gut wie nicht darüber gesprochen (und auch viele Jahre danach nicht). Zu dieser Zeit gestanden wir nur ein, daß es solche Träume gab. Pete Marshall bekannte, daß sie ihn manchmal total ausflippen ließen (»ausflippen« blieb noch über zehn Jahre einer von Petes Lieblingsausdrücken). Erst vor kurzem haben wir diese Träume diskutiert. Wie sich herausstellte, hatten wir alle ein paar davon gehabt. In unseren Träumen war Lucy nie ein Gespenst, zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Sie war keine schwebende Erscheinung, durchsichtig und an den Rändern verschwommen. In unseren Träumen war Lucy so ziemlich dieselbe, die sie im Leben gewesen war, wenn sie hinter der Ladentheke arbeitete.
    Roy erzählte uns, daß er im Januar dieses ersten Jahres wochenlang einen Traum gehabt hatte, in dem Lucy während der Physikstunde in seine Klasse kam. Sie stand vorne neben Mr. Mayer, der mit einem Lineal auf den Querschnitt eines Vulkans deutete. »Ich erwartete jeden Augenblick, daß Mayer sie fragte, was sie hier wollte, aber er redete einfach weiter. Alles ging ganz normal weiter. Nach einer Weile erst wurde mir klar, daß nur ich allein sie sehen konnte. Sie hatte nichts Beängstigendes, sie starrte mich nur an, als wäre sie traurig oder so. Irgendwann konnte ich das nicht mehr aushalten und wachte auf.«
    Wir alle hatten Träume dieser Art. Pete Marshall hatte sie vielleicht am häufigsten in diesem Sommer, was ja auch verständlich ist, wenn man bedenkt, daß er es war, der die Leiche gefunden hat. Er sprach damals praktisch gar nicht darüber, außer mit Mark Murray. In Petes Traum schaute er aus seinem Zimmerfenster und sah, daß Lucy auf der anderen Straßenseite unter einem blühenden Kohlbaum stand. Sie trug ein rotes Kleid. Sie starrte zu seinem Fenster hoch, und als sie ihn bemerkte, runzelte sie die Stirn. Das war alles.
    Es waren keine Alpträume, aber sie machten uns immer wach. Sie ließen uns nachdenklich und verunsichert zurück, wir konnten nicht wieder einschlafen. Wir lagen in unseren Betten, eingehüllt in den Gestank des faulenden Meersalats. Wir lauschten dem Meeresrauschen und dem gelegentlichen Schrei eines Stelzvogels, der in der Lagune durch irgend etwas aufgeschreckt worden war. Oft lagen wir stundenlang so. Es war also kaum verwunderlich, daß wir Ende Januar dicke Ränder unter den Augen hatten, übernervös waren und uns selbst wie Gespenster vorkamen.
Normalerweise reden die Leute mit uns. Das war schon von Anfang an so. Tatsächlich wirken die Leute, die wir befragen, erleichtert, reden zu können. Sie wollen ihr Wissen auf unseren Schultern abladen. Fast jedesmal offerieren sie uns kleine Details, Partikel, die in keinem Polizeiverhör oder Zeitungsartikel auftauchen. Diese Details, an die sie sich für uns erinnern, schienen damals vielleicht unwichtig gewesen zu sein oder zu banal, um offiziell in Stein gemeißelt zu werden. Möglicherweise spüren sie unser Bedürfnis nach allem, was uns mit Lucy verbinden kann, das es uns ermöglicht, sie klarer zu sehen durch den Nebel, den der Tod (und nun auch die seither vergangenen Jahre) über sie gebreitet hat. In dieser Hinsicht ist jede Information, die sie für uns ausgraben, ein Geschenk, für das wir stets dankbar sind.
    Wir fanden heraus, daß eine völlig unerwartete Frage die beste Antwort bringt. Deswegen sprechen wir die Leute zu Hause an oder bei ihrer Arbeit. Manchmal machen sie gerade eine Teepause, mit dem Sandwich in der Hand, oder sie ziehen Bilanz, bevor sie sich einer neuen Arbeit zuwenden. Wir haben mit einer Hausfrau gesprochen, während sie die Wäsche aufhängte. Einmal befragten wir den Manager eines Kurierdienstes auf dem Weg zur Arbeit. Er saß in seinem Auto und wollte gerade losfahren, der Motor lief. Ein Interview wurde gar an der Seitenlinie

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