ROD - Die Autobiografie
Klamotten und schicker Frisur auf der Seite der Bühne stand?
Dazu kann ich wirklich nichts sagen. Urteilen Sie selbst. Ich wusste nur, dass ich draußen war …
… nur um kurz darauf wieder reingeholt zu werden – von Long John Baldry. Zu sagen, dass Long John damals in der Musikszene hervorstach, ist stark untertrieben. Zum einen war er zwei Meter groß, zum anderen ein Sänger mit einer gewaltigen, voluminösen Stimme, blond und fast unverschämt gut aussehend. Als ich ihm begegnete, war er dreiundzwanzig – nur fünf Jahre älter als ich, mir in seiner Weltläufigkeit jedoch um Jahrzehnte voraus. Er konnte sich gut ausdrücken und war immer wie aus dem Ei gepellt, ein großer Anhänger des glänzenden Sharkskin-Anzugs mit drei Knöpfen, dazu Stiefel mit hohen Absätzen – Carnaby-Street-Style, könnte man meinen, doch er kaufte seine Klamotten nicht in der Carnaby Street, sondern bei einem griechischen Schneider in einer Seitengasse, bei dem er sie billiger bekam. Er besaß einen Dufflecoat, als der noch als sehr exotisch galt, spezialisierte sich aber auf Anzüge – den vornehmen Stil hatte er sich von den amerikanischen Bluessängern abgeguckt, die er bewunderte in ihren erstklassigen Dreiteilern, glänzenden Schuhen und mit Bedacht ausgewählten Socken. Man sang über Armut, war vielleicht auch tatsächlich arm, kleidete sich aber wie ein Millionär. So lief das.
John hatte in Middlesex in der Nähe von London das Gymnasium besucht und war ungeheuer intelligent. Seine Eltern meinten immer, die Entscheidung, sein Leben der Musik zu widmen, sei eine »schlimme Verschwendung eines großartigen Geistes«. Sein Zugang zur Musik war fast akademisch – er besaß die coolen Aufnahmen, die amerikanischen Pressungen, scheinbar vor allen anderen. John weckte mein Interesse für den Blues, sodass ich meine früheren Folk-Ambitionen aufgab. Ich weiß noch, wie ich einmal in seiner Wohnung in der Goodge Street war, bevor wir zu einem Gig fuhren, und fragte, ob ich sein Exemplar von Muddy Waters’ At Newport 1960 ausleihen dürfe – das Cover zeigt Muddy, wie er mit einer unglaublich lässigen weißen Krawatte auf einer Treppe steht. John sagte: »Geht leider nicht. Ich habe sie gerade erst von Keith Relf von den Yardbirds zurückbekommen, und als Nächstes wollen Mick und Keith sie haben.« Die Stones hatten vor, sie auf ihren Spulentonbandgeräten zu kopieren. Jeder wollte dieses Zeug hören, und Long John war so etwas wie die Leihbibliothek.
Außerdem war er ein phänomenaler Wodkatrinker und riesiger Freund von dem, was er »Verrücktheit« nannte – sein Codewort dafür, aus Jux und Dollerei in der Öffentlichkeit Quatsch zu machen. Außerdem war er schwul, was ich (ein Indiz für meine fehlende Weltgewandtheit) erst nach einer ganzen Weile herausfand. Wenn ich mich jetzt an unsere ersten Tage in der gemeinsamen Band zurückerinnere, scheint es wohl doch kein Zufall gewesen zu sein, dass er immer gerade aus der Dusche kam, während ich in seiner Wohnung auf den Wagen wartete, der uns zum Konzert bringen sollte – entweder nur mit einem Handtuch bekleidet oder ganz nackt. In meiner Naivität wäre mir im Traum nicht eingefallen, dass das eine Anmache war. Schließlich laufen in Fußball-Umkleideräumen auch alle splitternackt herum. Es kam mir ganz normal vor, deshalb war ich auch völlig unbeeindruckt und ahnte nicht das Geringste von seinen Absichten.
Eines Nachts schlief ich sogar mit ihm in einem Bett – auf Tournee mit der Band in irgendeinem schäbigen Boltoner Hotel, wo es nicht genug Zimmer gab – und war trotzdem kein bisschen klüger. Erst am nächsten Morgen beim Frühstück, als ein paar Bandmitglieder grinsten und Bemerkungen machten wie: »Bist du sicher, dass du die Hose richtig herum anhast?«, fiel – ziemlich spät – der Groschen, dass Long John »so’n warmer Bruder« war, wie man damals sagte.
Immerhin war 1964 in Großbritannien Schwulsein noch illegal (wie unglaublich und barbarisch das aus heutiger Sicht erscheint) und sollte es bis 1967 bleiben; es war also verständlich, dass darüber möglichst keine Gerüchte aufkommen durften und man sich auch niemandem anvertraute. Bestimmt sind irgendwelche Dinge passiert, ich kann mich jedoch nicht daran erinnern, dass Long John bei unseren Gigs mal jemanden aus dem Publikum abgeschleppt hätte. Später zeigte er sich mit seinen Partnern in der Öffentlichkeit. Damals jedoch verheimlichte er sorgfältig seine Beziehungen – und musste
Weitere Kostenlose Bücher