ROD - Die Autobiografie
John an, damit die eigentliche Show beginnen kann. Unter Strom? Als wäre mir eine Sicherung durchgeknallt, das trifft es eher.
So bleibt mein Zustand den ganzen Abend. Am Ende müssen sie mich von der Bühne tragen. Ich habe danach, glaube ich, vier Tage nicht geschlafen.
Mein erster Gig.
Rasch folgten weitere. Die Band war viel beschäftigt. Ich begriff langsam, warum die Bezahlung so ansehnlich war: Long Johns Ruf als Sänger eilte uns voraus, und wir verdienten gutes Geld – mehrere Abende in der Woche spielten wir kreuz und quer im ganzen Land, in Clubs und Universitäten. Auf dem Höhepunkt waren wir für sieben Abende in der Woche gebucht und spielten an den Wochenenden manchmal bis zu drei Konzerte pro Abend.
Als Verkehrsmittel diente uns ein alter, leuchtend gelber Möbelwagen, den Long John für 40 Pfund gekauft hatte. Der Fahrer war ein Typ namens Mad Harry. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er in der Royal Air Force Lancaster-Bomber geflogen und war nie ganz gelandet. Sein Armaturenbrett sah aus wie das Cockpit eines Flugzeugs, mit Höhenmessern, Uhren, Fahrtmessern und unzähligen Flugzeug-Andenken. Er trug eine Uniform mit Fliegerbrille, Lederjacke und Seidenschal. Mad Harrys zweite Aufgabe war es, die Band jeden Abend auf der Bühne anzukündigen und am Ende den Applaus anzuheizen. Dafür warf er sich in einen Frack, an den er seine Auszeichnungen gepinnt hatte.
Die Band saß im hinteren Teil des Transporters auf vier abgenutzten, alten Sofas, die um einen Petroleumofen gruppiert waren. Der Ofen war mit Stricken am Boden befestigt, damit er nicht umkippte, wenn der Transporter um eine Kurve fuhr. Er wärmte uns zwar, aber er füllte auch unsere Lungen und Augen mit Öldämpfen. Ich glaube nicht, dass das Gesundheitsamt das gebilligt hätte. Und wer weiß, was bei einem Unfall aus uns geworden wäre. Jeder Zusammenstoß bei hohem Tempo hätte den Wagen in eine Rakete verwandelt.
Das Gefühl von drohender Gefahr wurde verstärkt durch Mad Harrys Fahrstil: Er bearbeitete mit Vorliebe das Gaspedal und vernachlässigte die Bremsen. Für Harry war Geschwindigkeit alles. Er fuhr immer, als würde er ein Flugzeug auf einer Startbahn beschleunigen. Long John – generell ein nervöser Mitfahrer – klopfte dauernd gegen das Armaturenbrett und rief: »Um Himmels willen, Mann, fahr langsamer!«
Mad Harry hatte ein spezielles Kunststückchen für den Schluss der Fahrt nach Eel Pie Island parat: Um die letzte Ecke raste er dermaßen, dass der Transporter beinahe aus der Kurve in die Themse flog. Das war sein Markenzeichen, sozusagen ein mit einem Möbelwagen ausgeführtes Flugmanöver. Irgendwann hatte Long John die Nase voll davon, immer vor Angst zu zittern, und stieg auf den Zug als Verkehrsmittel zu den Gigs um. Ian Armitt, ein Schotte und begnadeter Pianist, kaufte sich ein Auto – ausdrücklich weil er glaubte, dadurch seine Überlebenschancen deutlich zu erhöhen. Ich hätte es wahrscheinlich genauso gemacht, aber ich sparte noch.
Für den Transporter war dieser Fahrstil ebenfalls eine ziemliche Herausforderung. Auf dem Weg zu einem Gig an der Newcastle University entschied auch er, dass es nun genug sei, kam knirschend zum Stehen und bewegte sich keinen Millimeter mehr. Zu diesem Auftritt fuhr uns ein Abschleppwagen.
Der »Lancaster-Bomber« hatte uns bis dahin bereits kreuz und quer durch Großbritannien gekurvt. Unter anderem hatte er uns nach Stoke-on-Trent gebracht, ins Place, wo das Publikum tobte und begeistert die Fäuste in die Luft reckte. Long John verstand die Geste falsch, wähnte sich in einer Art Nazi-Versammlung und stoppte die Band, um zu verkünden: »Wir dulden keinen Fascho-Scheiß!« Damit war der Gig gelaufen.
Er hatte uns auch nach Dundee gefahren, wo ein Konzert an der Universität die Bühne für meinen ersten öffentlichen Auftritt in Schottenkaroklamotten bot. Long John hatte vorgeschlagen, in die Stadt zu gehen und ein paar Hosen und Westen im Schottenmuster zu kaufen. Er hielt das für eine geeignete Geste, um die Gunst der Zuhörer zu gewinnen, die erfahrungsgemäß nicht leicht zu beeindrucken waren. Dem Publikum jedoch genügte ein Blick auf diesen englischen Hünen und seinen Bandkollegen mit der großen Nase und der Dusty-Springfield-Frisur, die sich mit ihren Schottenkaro-Klamotten anbiederten. Es beschloss, sich das nicht gefallen zu lassen, und ließ Bierdosen auf die Bühne regnen. Das sollte ich nicht so bald wieder versuchen.
Nicht immer musste ich
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