ROD - Die Autobiografie
Decca Studios befanden sich in Broadhurst Gardens in West Hampstead. Am Morgen des 3. September 1964 melde ich mich dort an der Rezeption, in der Hand – kein Witz – ein kleines Päckchen Käse-Sandwiches, die mir meine Mutter morgens geschmiert hatte.
»Rod Stewart«, sage ich so lässig wie möglich. »Ich habe einen Termin.«
Das stimmte – allerdings, wie sich herausstellte, nachdem die Rezeptionistin einige Augenblicke verwirrt im Kalender geblättert hatte, erst eine Woche später, für den 10. September. Mein Fehler. Ich fahre mitsamt meinem Lunchpaket wieder nach Hause.
Am folgenden Donnerstag werde ich morgens irgendwann nach elf von meiner Mum geweckt. Geoff Wright ist am Telefon und fragt, wo ich bin. Im Bett und ziemlich durch den Wind nach einem Hoochie-Coochie-Gig am Abend zuvor. Ich gehe runter ans Telefon, und Geoff ruft mir in Erinnerung, wo ich eigentlich sein sollte: in Broadhurst Gardens. Die Band ist im Studio, alle warten, nur der Sänger fehlt.
»Spring in ein Taxi«, sagt Geoff.
»Kann ich nicht«, antworte ich. »Zu teuer.«
»Ich bezahle, sobald du hier ankommst«, antwortet Geoff. (Merkt ihr, was ich da gerade tue?)
Also sitze ich ungefähr eine halbe Stunde im Taxi, werde langsam wach und betrete etwa zur Mittagszeit das Studio, zwei Stunden nach dem vereinbarten Beginn der Session. Mich erwartet eine Atmosphäre kaum verhohlener Ungeduld.
Die Spannung wird nicht geringer, als ich vorschlage, nicht die geplanten Songs zu spielen, die ich, um ehrlich zu sein, nicht geübt habe – im Gegensatz zu der Band, für die diese Songs vorher sorgfältig arrangiert worden waren. Das Problem ist, dass es neue Songs von Deccas Liste möglicher zukünftiger Hits sind, die alle ein bisschen poppig, leicht und, um es mal deutlich zu sagen, scheiße klingen. Sie haben kein bisschen Ähnlichkeit mit dem robusteren, bluesigeren Zeug, das ich mir eigentlich für mich gewünscht hatte.
»Und was sollen wir stattdessen aufnehmen?«, fragt Geoff mit einem so schmallippigen Lächeln, dass es eigentlich gar keines mehr ist, eher eine Grimasse. Die Studiozeit für was weiß ich wie viel Pfund pro Minute verstreicht, und die Musiker werden nach Gewerkschaftstarifen bezahlt.
Meine Idee ist, diesen Song von Sonny Boy Williamson aufzunehmen, den ich mir für meine Stimme vorstellen kann.
»Okay«, sagt Geoff zögernd. »Und wo hast du die Musik?«
Gute Frage. Daran hatte ich nicht gedacht.
Doch da überkommt mich ein Geistesblitz: Ich könnte in einem Plattenladen in der Nähe eine Aufnahme kaufen, die wir im Studio abspielen und so den Song einüben.
Geoff unterbreitet der Band diesen Vorschlag, die einigermaßen empfänglich dafür ist – oder einfach nur bereit, alles zu tun, damit diese Amateur-Session ein Ende nimmt.
»Also gut«, meint Geoff. »Dann geh mal los und besorg sie.«
Da gibt es nur noch ein kleines Problem: Ob er mir ein bisschen Kleingeld leihen könne? (Merkt ihr, was ich hier tue? Schon wieder!)
Ich kaufe also mit Geoffs Geld die Platte, sie wird im Kontrollraum abgespielt, über die Lautsprecher hören wir sie im Studio. Die Band improvisiert, bis sie den Song draufhat. Insbesondere der Bassist scheint zu wissen, was er tut. Er heißt John Paul Jones und soll später recht erfolgreich mit einer Beat-Combo namens Led Zeppelin werden. Bald haben wir eine akzeptable Version von »Good Morning Little Schoolgirl« zusammen. Für die B-Seite hauen wir Big Bill Broonzys »I’m Gonna Move to the Outskirts of Town« raus, eine Nummer, die wir sowieso alle kannten. Und da ist sie.
Meine erste Single.
Was die Decca-Leute wohl empfunden haben, als ihnen die Aufnahme vorgespielt wurde? Sie rechneten mit einem Stück Popmusik, das bereit für die Charts war und das sie in den Äther hinauswerfen konnten, und bekamen stattdessen eine ziemlich unfertige Version eines alten Blues-Standards mit etwas anzüglichen, na ja, eigentlich ganz offensichtlich lüsternen Lyrics. Doch egal wie aufgebracht sie darüber auch waren, es hat sie nicht davon abgehalten, die Single einen Monat später, am 16. Oktober 1964, zu veröffentlichen.
Ziemlich aufregend, meinen Namen neben dem dunkelblauen Decca-Label gedruckt zu sehen. Für die Presseleute war es wahrscheinlich genauso aufregend, ihre Aufnahme zusammen mit einer Pressemitteilung in Form eines Fragebogens zu bekommen, der sie mit meinem »echten« Namen (Roderick David Stewart) vertraut machte. Ferner mit dem, »was ich nicht so mag« (ich
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