ROD - Die Autobiografie
die Sache meistens geritzt.
Im März 1964 waren wir bei einem Eröffnungs-Gig für den neuen Laden des Marquee Club in der Wardour Street in Soho die Vorband von Sonny Boy Williamson II., dem großen amerikanischen Blues-Pionier, Sänger und Mundharmonikaspieler. Das war ziemlich aufregend für mich, weil ich ein großer Fan von ihm war. Williamson, der nur ein Jahr später mit dreiundfünfzig Jahren an einem Herzanfall sterben sollte, trug einen makellosen, glänzenden Maßanzug und war unglaublich charismatisch – ein echtes Original.
Das Marquee verfügte damals übrigens über keine Alkoholkonzession – es gab nur Kaffee und Cola. Im Marquee war es auch, dass während eines Hoochie-Coochie-Men-Gigs einer aus dem Publikum tatsächlich die Frechheit besaß, in der vordersten Reihe Zeitung zu lesen – vermutlich um seiner Verachtung für unsere pseudo-amerikanische R&B-Aufmachung Ausdruck zu verleihen. Long John kümmerte sich unverzüglich um ihn: Er sprang von der Bühne und zündete kurzerhand die Zeitung mit einem Feuerzeug an.
Außerdem spielten wir einen Gig mit Little Walter, auch er ein wegweisender amerikanischer Bluesmusiker und bis heute der Einzige, der ausschließlich für seine Fähigkeiten auf der Mundharmonika in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde. Um ehrlich zu sein, war er ein bisschen beängstigend und hatte ganz anscheinend ein kleines Problem damit, sich unter Kontrolle zu halten. Jedenfalls bat er mich backstage, ihm Mädchen zu besorgen, und als ich ihn etwas zweifelnd ansah, drohte er, ein Messer auf mich zu werfen. Den Rest des Abends mied ich seine Nähe. Aber er war zweifellos ein großer Mundharmonikaspieler.
Meiner Erinnerung nach gab es nur einmal richtig Ärger, und das war in Portsmouth, an der Südküste Englands. Die Beatles hatten Long John zu einem Gastauftritt in einem ihrer TV-Specials eingeladen – keine Einladung, die man ausschlagen würde, weil man etwas Besseres zu tun hatte –, und er war wegen des Drehs in London geblieben, hatte jedoch versprochen, später pünktlich zu unserem Konzert im Rendezvous Club in Portsmouth zu erscheinen.
Zur Showtime war von ihm jedoch keine Spur zu sehen. Der verärgerte Clubbesitzer zwang uns, trotzdem anzufangen, mit mir als Ersatzmann. Dabei hatte ich überhaupt nur drei Lieder im Repertoire, die ich so lange wie möglich hinauszögerte. Langsam geriet ich ins Schwimmen, und das Publikum wurde unruhig und schrie: »Wir wollen Long John!« und »Verpiss dich, du Schwuchtel.« Nach ein paar Nummern kam Long John schließlich durch die Menge gestürmt, und in meinem Zorn, dass er mich in diese Situation gebracht hatte, machte ich den Fehler, ihn von der Bühne aus mit »Wird aber auch Zeit, Mann« zu begrüßen. Long John kletterte auf die Bühne und zog die Show durch, um mich hinterher in aller Seelenruhe zu feuern. Ich brach, das gebe ich gerne zu, in Tränen aus. Ich hätte nicht gedacht, dass Leute in Bands auch gefeuert werden. Ich dachte, so etwas passierte nur in der echten Arbeitswelt.
Meine Verbannung dauerte eine Woche, danach durfte ich wieder mitmachen – glücklicherweise kam es nicht zu einem dauerhaften Zerwürfnis. Im Juni bat mich Long John, der einen Solo-Plattenvertrag mit United Artists in der Tasche hatte, den Background-Gesang bei der Coverversion des Sister-Rosetta-Tharpe-Gospels »Up Above My Head« zu übernehmen, der B-Seite seiner Single »You’ll Be Mine«. Die Aufnahme ist sicher keine meiner größten Performances, zeigt vielmehr alle klassischen Anzeichen eines Studioneulings, der aufdreht, um zu beeindrucken, und wie ein Wahnsinniger kiekst. Der Song ist eine Call-and-Response-Nummer, in diesem Fall ist die Antwort aber lauter als der Ruf. Es klingt, als wollte ich einen Brüllwettbewerb gewinnen – mit guten Erfolgsaussichten.
Meine erste veröffentlichte Platte.
Was für ein Augenöffner diese Zeit insgesamt war – und was für eine Lehre. Als ich das erste Mal mit den Hoochie Coochie Men in den Transporter kletterte und meinen ersten Zug Petroleumdampf nahm, war ich ein absoluter Anfänger im Musikbusiness. Ich begriff damals nicht einmal einen einfachen zwölftaktigen Blues. Trotzdem stand ich mit echten, gestandenen Musikern auf der Bühne – wie Cliff Barton, Ian Armitt und dem Gitarristen Geoff Bradford, einem genialen Jazzer, der mühelos auf Blues umsteigen konnte. Sie waren alle in ihren Dreißigern und Vierzigern, in der Traditional-Jazz-Szene groß geworden und
Weitere Kostenlose Bücher