ROD - Die Autobiografie
erst hinter die Bühne mussten. Außerdem konnten wir uns bei Kenneys endlosen Schlagzeugsoli dorthin zurückziehen. Da saßen wir also, während Kenney sich ins Nirwana trommelte. Einer von uns meinte: »Meint ihr, wir sollten weitermachen?« Und irgendjemand antwortete: »Lasst uns noch einen trinken.«
So etwas war damals ungewöhnlich. Man darf nicht vergessen, wie ernsthaft die Rockmusik in dieser Zeit wurde. Der Aufstieg der Faces verlief mehr oder weniger parallel zum Aufstieg des Progressive Rock. Blasierte Gitarristen spielten mit gerunzelter Stirn Neun-Minuten-Soli auf Doppelhalsgitarren, und Keyboarder drückten stundenlang Pseudo-Sinfonien auf ihren Synthesizern. Vergessen wir ebenfalls nicht, wie düster die Lage Anfang der Siebziger in England war: ein Land in der Krise, die Wirtschaft am Boden, von Streiks gebeutelt, die Straßen voller Müll, das Land der offiziell verfügten Stromsperre. Es waren finstere, elende Jahre, und die Faces – erdverbunden, aber nicht am Boden, grell gekleidet und voll wie die Strandhaubitzen – wirkten in der ganzen Trostlosigkeit wie ein Regenbogen.
Und doch war unser Setup im Prinzip eher karg und auf kühne Weise spärlich. Jede andere Band auf der Welt brachte damals mindestens zwei Gitarren auf die Bühne. Wir hatten nur eine, gespielt von Ronnie, der seine Sache einfach großartig machte. Wie in der Jeff Beck Group ließ mir diese eine Gitarre genug Raum zum Singen.
Und genug Platz, um mich zu bewegen – vielleicht nicht gerade im Croydon Greyhound oder dem Trentham Gardens Ballroom in Stoke-on-Tent, also der Sorte von Bühne, auf der wir einen Gutteil unserer Karriere in Großbritannien verbrachten. Ganz bestimmt jedoch auf den großen amerikanischen Bühnen, auf denen sich die Faces bald schon wiederfanden. Und plötzlich brach der Show Man aus mir heraus, der seit fast einem Jahrzehnt langsam und etwas unbeholfen herangewachsen war. Schon bald hatte ich mir mit einem treuen, alten Requisit – dem Mikrofonständer – ein völlig neues Repertoire von Tricks angeeignet. Ich drehte ihn so hoch, dass ich mich strecken musste, um ans Mikro zu kommen, ließ ihn herumwirbeln wie einen Tambourstock, schleppte ihn quer über die Bühne, riss ihn hoch, bis er direkt über meinem Kopf war, oder schloss ihn in die Arme, als tanzte ich mit ihm Tango. Ich schleuderte ihn mit zunehmendem Selbstvertrauen in die Luft und fing ihn wieder auf (mit Glück). Die Tatsache, dass ich in den fast fünf Jahren mit den Faces weder mir selbst noch jemand anderem ein Auge ausgestochen habe, ist ein wahres Wunder. Eines Abends in Detroit habe ich es wohl etwas übertrieben, jedenfalls sah ich den Ständer nach einem Wurf nach oben nie wieder. Wahrscheinlich blieb er in der Lichttraverse hängen. Vielleicht hängt er immer noch da.
Normalerweise stolperten wir auf die Bühne, Ronnie Lane sagte irgendwas wie: »Tut mir leid, dass wir spät dran sind. Rods Fön war kaputt«, und wir legten los, meistens mit Chuck Berrys »Memphis, Tennessee«. Trifft – wenn man ihn richtig rüberbringt – das Publikum direkt in die Magengrube. Es war immer ein tolles Gefühl, wenn der Song losging und ich darauf einstieg.
Eine Setliste? Setlisten waren was für Schlappschwänze. Schlappschwänze und Profi-Mucker. Am besten ging man einfach raus und klärte die Setlisten-Frage mit dem alten Schlachtruf der Faces: »Was spielen wir?« Wir wussten nur, dass wir irgendwann Sachen wie »Cindy, Incidentally« oder »Sweet Lady Mary« oder Big Bill Broonzys »I Feel So Good« bringen würden, und früher oder später würden wir Ronnie Lane oben auf eine orangefarbene Lautsprecherbox hieven, wo er die erste Strophe von Paul McCartneys »Maybe I’m Amazed« sang. Wir liebten diesen Song und waren richtig neidisch. Wieso nur war er nicht von uns?
Die Pausen zwischen den Stücken konnten manchmal absurd lang werden, und zwar nicht nur, weil wir uns darauf einigen mussten, welcher Song als nächster an der Reihe war. Wenn Woody eine andere Gitarrenstimmung brauchte, holte er sich keine entsprechend gestimmte Klampfe auf die Bühne, sondern stand da und stimmte das Ding um, das gerade um seinen Hals hing. Die Kunst, mit dem Publikum zu sprechen, beherrsche ich erst richtig seit den Gigs mit den Faces, seit den quälend langen Pausen, in denen Woody mit seinem Open-E-Tuning beschäftigt war. Da habe ich gelernt, nicht nur Insiderwitze zu reißen. Die Saat dafür war von Long John Baldry gelegt worden: Er hatte
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