Römer im Schatten der Geschichte
es dabei ausdrücklich um eine eheliche Beziehung. Bei allen übrigen scheint es sich um eine nicht näher definierte Beziehung oder um Ehebruch zu handeln. Der Sexualtrieb war also für den gewöhnlichen Römer von großer Bedeutung. In Anbetracht der Tatsache, dass die magischen Papyri so viele Zauberformeln und Anrufungen enthalten, um die Zuneigung der Frauen zu erwirken, ist es erstaunlich, dass sexuelle Anziehungskraft nicht auf der Liste der Männer steht, die sich von der Stern- und Traumdeutung Rat erhofften. Im
Carmen
ist Erfolg in der Liebe (was immer das in wechselndem Kontext bedeuten mag) kein Thema. Bei Artemidor wird zwar in einigen Träumen das Liebesleben einer Frau oder eines Mannes gedeutet – etwa dass »von irgendeinem Bekannten an der Brust verwundet zu werden … jungen Leuten beiderlei Geschlechts Liebesleidenschaft offenbart« (
Traumbuch
1,41) –, aber das bleibt sehr selten. Es gibt Bezugnahmen auf die Liebe von Ehefrauen, auf Konkubinen, auf Prostituierte und Ausschweifungen, aber es fehlt jede Beschäftigung mit Empfindungen, die wir als Gefühl der Liebe an sich verstehen würden. Anscheinend ist der Gedanke an»romantische Liebe« ein Luxus, den sich Männer nicht leisten können – ihr Interesse ist sehr viel konkreter. Ist »Liebe« Teil des Lebens eines Mannes, schön und gut – vorrangige Bedeutung hat sie jedoch nicht. Weit mehr interessieren ihn die Realien der »Liebe«, zum Beispiel, ob er zu einer Frau, die er liebt, Zugang findet, oder, persönlicher gefärbt, ob er impotent sein wird (»bei den Handlungen Aphrodites wird ihm keine Freude zuteil«) oder vielleicht sexbesessen: In einem Geburtshoroskop werden beiden – Männern und Frauen – Exzesse beim Geschlechtsverkehr vorausgesagt.
Eine glückliche Ehe ist zwar möglich, doch wird sie überschattet von zahlreichen Gegenbeispielen. Den häufigen Klagen über eine von Streitsucht geplagte Ehe verleihen die vielen Grabinschriften Nachdruck, auf denen glücklich verheiratete Paare kundtun, »ohne Streit« gelebt zu haben, ein manchmal vielleicht allzu beflissenes Bekenntnis, das zumindest bestätigt, dass in der Ehe ein friedliches Miteinander gesucht wurde. Dem guten oder schlechten Verlauf der Ehe ist in Artemidors Werk ein ganzer Teil gewidmet. Notwendige Voraussetzung für ein gutes eheliches Zusammenleben sind »Einmütigkeit und Liebe«, doch ist es auch ohne weiteres möglich, dass ein Partner den anderen beherrscht wie ein Herr seine Sklaven. Nur gelegentlich ist ein uneingeschränkt positives Ehedasein vermerkt, etwa wenn Artemidor Attraktivität, Treue, die Kunst des Haushaltens und Gehorsam gegenüber dem Gatten als weibliche Stärken angibt (
Traumbuch
2,32).
Zwei Punkte stehen bei der Ehe im Vordergrund: vornehmlich die Frage, ob die Ehe Bestand haben wird. Befürchtet wurden offenbar sowohl weibliche wie männliche Zügellosigkeit und sexuelles Fehlverhalten, ein Thema besonders im
Carmen,
aber auch bei Artemidor, wo freizügige Ehefrauen wiederholt erwähnt sind. Zentral sind außereheliche Beziehungen beider Partner in vielen Horoskopen. Vielfach werden Bedenken geäußert, dass der Ehemann ein Schürzenjäger sein könnte (was eindeutig nicht als gegeben hingenommen wurde). Von einer guten Ehefrau erwartet man Treue, aber die Furcht vor der losen, ausschweifenden Frau herrscht vor. Laut Artemidor »hat der Ehemann die Aufsicht und Autorität über den Körper« seiner Frau; er »überwacht und regiert« sie. Wenn sie auf Abwege gerät, ist das also auch katastrophal für Reputation und Stellung des Mannes. Auch Horoskope und Traumdeutungenzeichnen das Bild treuloser, sexuell enthemmter Frauen, wie sie detailliert in Apuleius’ Roman geschildert sind. Was auch immer davon der Realität entsprach, der normale Römer war um die Treue der Gattin (und sie um die seine) offensichtlich sehr besorgt.
Grund zur Sorge waren auch die sexuellen Beziehungen in der Ehe oder vielmehr das Verhalten der Frauen als Sexualpartnerinnen. Ist die Frau »begierig auf Verkehr«, weist dieses Verhalten laut dem
Carmen
auf »Zügellosigkeit und Laster« hin. Eine tugendhafte Frau »vollzieht den Akt der Aphrodite nicht auf unnatürliche Weise«. Oralsex mit der Ehefrau ist ebenso wenig geduldet wie Fellatio. Vermutlich geht es hier darum, dass Geschlechtsverkehr mit der Ehefrau nicht zu verwechseln sei mit der beiläufigen sexuellen Befriedigung durch eine Sklavin oder Prostituierte. Besorgnis weckt auch die Vorstellung, die
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