Römer im Schatten der Geschichte
Natur sie aber nur eine einzige,nämlich Leib an Leib lehrte, kann man an dem Beispiel der anderen Lebewesen erkennen; alle Arten begnügen sich mit der ihnen zukommenden …, weil sie der natürlichen Ordnung entspricht. … So liegt es in der Natur der Sache, daß die dem Menschen artgemäße Stellung die von Leib zu Leib ist, während sie alle anderen aus Übermut und Zügellosigkeit hinzuerfunden haben. (
Traumbuch
1,79)
An anderer Stelle erklärt er: »Verfinstert sich Helios, bringt er jedermann Unheil, außer denen, die verborgen bleiben wollen und im geheimen Verbotenes tun« (Traumbuch 2,36). Was aber hat man sich darunter vorzustellen? In der langen Reihe von Deutungen, die auf Träumen beruhen, bleibt kaum eine mögliche sexuelle Begegnung und Aktivität unerwähnt. Drei allgemeine Arten werden genannt: Erstens Geschlechtsverkehr, der natürlich, legal und üblich ist. Dazu gehört Sex mit der eigenen Frau, mit Prostituierten, mit »unbekannten Frauen«, mit den eigenen Sklaven oder Sklavinnen oder mit einer Frau, mit der man »intim bekannt« ist; zweitens illegaler Geschlechtsverkehr: das heißt mit jungen (fünf- bis zehnjährigen) Knaben oder Mädchen, mit dem eigenen Sohn, der eigenen Tochter oder eigenen Geschwistern, mit der eigenen Mutter, mit einem »Freund« (vermutlich ein freier Erwachsener) und drittens »unnatürlicher« Geschlechtsverkehr. Hierzu zählt er reichlich Seltsames wie den »Geschlechtsverkehr mit sich selbst«, »das Küssen des eigenen Penis«, Nekrophilie und Sodomie – aber, nota bene, keine homosexuellen Praktiken.
Ein klares Konzept dominant/unterwürfig lässt sich bei Artemidor nicht ausmachen. Einerseits gilt es als verwerflich, sich in einem Sexualakt beherrschen zu lassen; als Ausnahme nennt er den Traum von der Beherrschung durch einen reichen Mann, denn »von solchen Personen bekommt man gewöhnlich etwas« (
Traumbuch
1,78). Andererseits sind selbst in der »beherrschenden« Stellung einige Praktiken wie die Fellatio, ausgeführt durch eine Ehefrau oder Geliebte, einen Freund, einen Verwandten oder ein Kind, zu tadeln. Artemidor verurteilt zwar auch den passiven Partner, der den Akt vollzieht, doch verheißt ein Traum in jeder der beiden Stellungen nichts Gutes.
Von Artemidor wird die Klassifizierung der Sexualakte durch die Elite also differenziert, zudem gilt für ihn die Norm: Sexualität zwischenMann und Frau nur »Leib an Leib«. Die Fellatio. scheint zumindest für Ehefrauen und Freie verwerflich zu sein, und die »nicht-normalen« Positionen werden implizit kritisiert. Man gewinnt den Eindruck, dass Artemidor über die sexuellen Gewohnheiten seiner Zeitgenossen völlig im
Bild ist, aber genaue Vorstellungen davon hat, was daran »gut« und was »schlecht« ist. Sexualität in der Ehe wird in seinem Werk gutgeheißen, doch anders als die Oberschicht scheint er gleichgeschlechtlichen Verkehr, ob zwischen Männern oder Frauen, abzulehnen.
Weitere Informationen darüber, wie der gewöhnliche Mann Homosexualität beurteilte, finden sich im
Carmen
. In seinem Kapitel »Über Analverkehr«, das den größeren Teil über die Ehe ergänzt, geht es Dorotheos zweifellos nicht nur um die einzelnen Sexualakte, sondern um alle Personen, die gleichgeschlechtlichen Verkehr dem heterosexuellen gewohnheitsmäßig vorziehen. In einem Horoskop wird der Betreffende »nicht Frauen lieben, sondern an Knaben sein Vergnügen haben«; in einem anderen »wird sein Begehren nach Männern gehen«. Analog heißt es in einem weiteren Horoskop: »es zeigt an, dass sie Frauen begehren wird«, und für einen Mann: »er wird Männer begehren«. Und in einem dritten Fall: »ist es eine Frau, wird sie Lesbierin sein … ist es ein Mann, wird er Frauen nicht tun, wie er es sollte« (
Carmen
2,7). Das
Carmen
ergänzt unser Verständnis also durch den Hinweis darauf, dass einige Männer (und auch einige Frauen) nicht nur vereinzelt homosexuelle Kontakte pflegten, sondern damit einer beständigen Vorliebe nachgingen.
Als letzter Einblick in das Thema Sexualität ist die Haltung des Apostels Paulus zu erwähnen. In einer Polytheistenschelte schreibt er:
… dieweil sie wußten, daß ein Gott ist, und haben ihn nicht gepriesen als einen Gott noch ihm gedankt, sondern sind in ihrem Dichten eitel geworden, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden und haben verwandelt die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in ein Bild
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