Römer im Schatten der Geschichte
allem voran den Aspekt dominant/unterwürfig. Jeder sexuelle Akt wurde danach beurteilt, wie er sich ins System dieser »Spielregeln« einordnen ließ.
Innerhalb des Basismodells von Sexualität und Ehe stand Interessierten eine ganze Palette anderer sexueller Aktivitäten offen, vorausgesetzt, die Spielregeln wurden eingehalten. Hier ist vor allem die Besonderheit zu nennen, dass sich kein Personentyp oder eine »Identität« ausmachen lässt, die man als homo- oder heterosexuell bezeichnen könnte. Es gibt im Lateinischen nicht einmal ein Wort für »homosexuell« – ebenso wenig übrigens für »heterosexuell«. Wesentlich ist vielmehr, in den Begriffen bestimmter Handlungen und Situationen innerhalb einer Elitekultur zu denken, die die zentrale Bedeutung männlicher Vorherrschaft als Verhaltens- und Identitätsmuster für den Mann nie in Frage stellt.
Fragen lässt sich, ob dieses fluide Ethos auf den gewöhnlichen Mann anzuwenden ist. Auch er verstand den Sexualakt als Vorgang der Herrschaft oder Unterwerfung. Ein sehr lebendiger Beweis für diese Gleichsetzung von Männlichkeit und sexueller Gewalt sind die Schleudergeschosse. Soldaten, die diese eichelförmigen Bleiobjekte anfertigten, versahen sie mit eingeritzten Botschaften an den Feind. Einige dachten dabei nur an ein »Da hast du’s!« Viele andere aber benutzen eine sexuell gefärbte Sprache, um die Botschaft der Macht deutlich zu machen. Das bezeugt dieser
glans
(lateinisch für »Penis« wie auch für »Schleudergeschoss«), der aus dem Krieg gegen Octavian, den späteren Augustus, stammt: »Ich suche Octavians Arsch« (
CIL
XI 6721.7), eine der blumigeren Wendungen, die alle auf die Penetration als Symbol der Herrschaft abzielen. Die Sicht der männlichen Dominanz als Sexualmetapher ist hier die des einfachen Soldaten.
Die magischen Papyri bestätigen das Bild einer aggressiven männlichen Sexualität. Viele Zauberformeln und Anrufungen verfolgen den Zweck, Frauen zu unterwerfen, manchmal in der rabiatesten Form:
Herbeizwingender (Liebes-)Zauber mit einem Räucherwerk von Myrrhe. Räuchere über Kohlen und sag das Gebet her. … ›Du bist die Myrrha, die bittere, die schwere, … Alle nennen dich Myrrha, ich aber nenne dich Fleischfresserin und Versengerin des Herzens. … ich sende dich zur NN, der NN Tochter, damit du mir gegen sie dienest, damit du sie mir zuführest. Sitzt sie, so soll sie nicht sitzen, spricht sie mit einem, soll sie nicht sprechen, … geht sie zu einem, soll sie nicht gehn, … ißt sie, soll sie nicht essen, küßt sie einen, soll sie nicht küssen, … doch mich allein, den NN, soll sie im Sinne haben, mich allein soll sie begehren, mich allein soll sie lieben, meine Wünsche alle soll sie erfüllen. Geh nicht in sie ein durch ihre Augen, … und nicht durch ihre Glieder, sondern durch die Scham und verbleibe in ihrem Herzen und brenne ihre Eingeweide, ihre Brust, ihre Leber, ihren Atem, ihre Knochen, ihr Mark, bis sie kommt zu mir, dem NN, mich liebend, und erfüllt alle meine Wünsche, weil ich dich beschwöre, … auf daß du mir meine Aufträge ausführest, Myrrhe: so wie ich dich verbrenne und du wirksam bist, so verbrenne das Hirn der NN, die ich liebe, brenn es aus und reiß aus ihre Eingeweide, träufle ihr Blut aus, bis sie kommt zu mir …‹ (
PGM
IV 1497 – 1548)
Die brutalen Bilder entsprechen der Vorstellung vom aggressiven, dominanten Mann. Auch in den Theaterstücken des Plautus, in Apuleius’ Roman und in Petrons
Satyrica
sind die Männer auf Herrschaft aus. In diesen Werken ist überdies eine Welt dargestellt, in der homosexueller neben heterosexuellem Geschlechtsverkehr vorkommt und in der das elitäre System akzeptierten Verhaltens zu gelten scheint.
Neben diesem klaren Herrschaftskonzept als Lackmustest der Männlichkeit steht ein ebenso klares Konzept, dass die Praktiken, die man als Abweichung vom strikten Mann-auf-Frau-Verkehr bezeichnen könnte, in ihrer Gesamtheit inakzeptabel, um nicht zu sagen pervers oder gar krankhaft seien. Artemidor gibt unzweideutig zu verstehen, welche Vorstellung von Sexualität seinen Traumdeutungen zugrunde liegt, und vermutlich wäre das nicht der Fall, hätten die gewöhnlichen Römer diese Vorstellung nicht mehrheitlich geteilt. Wie erwähnt, gibt es seiner Auffassung nach beim Geschlechtsakt nur eine einzige »natürliche« Stellung:
Dass die Menschen alle übrigen Stellungen aus Übermut, Zügellosigkeit und Unbeherrschtheit ersonnen haben, die
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