Römer im Schatten der Geschichte
Flotten, fahren damit bald auf die Frachtschiffe, bald auf einen Landstrich und sogar eine Stadt los und beherrschen so das Meer; unterstützt werden sie manchmal von den Bewohnern des Bosporos, indem sie ihnen Ankerplätze bieten und Gelegenheit geben, das Geraubte auf dem Markt zu verkaufen. … Dasselbe machen sie auch in der Fremde, wo sie ihnen bekannte bewaldete Stellen haben, an denen sie die
kamarai
verstecken, während sie selber Tag und Nacht zu Fuß umherstreifen um Menschen zum Verkauf als Sklaven zu rauben: … Das den Römern unterstehende Gebiet dagegen bietet wegen der Gleichgültigkeit der dorthin geschickten Verwalter weniger Hilfe. (
Strabons Geographika
11,2,12)
Die Römer, ihrerseits »Räuber« par excellence, die es verstanden, die gesamte mediterrane Welt zu erobern und auszuplündern, betrachteten und behandelten diese Art Stammestum als eine gegnerische Gemeinschaft.
Der normale Weg, mit diesen »Eigengesetzlichen« fertig zu werden, waren Militäraktionen. Im oben zitierten Text spricht Strabon von der Notwendigkeit, aber auch von der Erfolglosigkeit solcher Maßnahmen der Römer gegen die Banditen. Weil beide Gruppen denselben allgemeinen Regeln folgten, liegt die Gefahr auf der Hand: Die jeweils siegreiche Seite wird versuchen, die andere anzugreifen und auszuplündern, wenn nicht zu vernichten. Obwohl die Römer selbst in ihren Verlautbarungen oft nicht genau zwischen »Eigengesetzlichen« und«Gesetzlosen« unterscheiden, möchte ich diese Differenzierung hier deutlich hervorheben. Die Aktivität derjenigen »mit eigenem Gesetz« führt zu Aufsehen erregendenAuseinandersetzungen, die von den Eliten gestützt und von militärischen und diplomatischen Wortführern ausführlich dokumentiert werden. Wo es dagegen um »Gesetzlose« geht, ist die Elite einerseits weniger beteiligt – sie war unter allen gesellschaftlichen Gruppen am besten in der Lage, sich vor den Gesetzlosen zu schützen –, andererseits aber auch ideologisch stärker verunsichert, denn diese repräsentieren die Kritik an der hierarchischen Gesellschaft. Interesselos und isoliert, schenkt die Elite den Gesetzlosen allenfalls dann Beachtung, wenn sie zu einer Bedrohung wie die »Eigengesetzlichen« werden. Im Allgemeinen betrachtet man die Gesetzlosen als Teil des Alltags; man trifft Maßnahmen, um ihre Räubereien zu unterbinden und überlässt sie im Übrigen ihrem Dasein, ohne sie in den Quellen je zu erwähnen, wie alle Gruppen, die man der Beachtung durch die Elite nicht für wert hält.
Eine andere Gruppe, die ich nicht berücksichtige, sind die gewöhnlichen Verbrecher. Mörder, Diebe, kleine Gauner vergehen sich an der rechtstreuen Gesellschaft, in der sie aber ihren Ursprung haben und in die sie – mangels Alternative – immer wieder zurückkehren. Lukian wirft einen Blick auf ihr Treiben:
Als ich, aus Begierde mich mit der griechischen Bildung bekannt zu machen, die Reise aus meiner Heimat nach Athen unternahm, war die Stadt Amastris im Pontos meine erste Station, da sie denen, die aus Skythien über das Schwarze Meer hinüberschiffen, wegen ihrer geringen Entfernung vom Vorgebirge Karambis den bequemsten Landungsplatz bietet. Sisinnes, mein Kamerad von Kindheit auf, begleitete mich auf dieser Reise. Nach unsrer Ankunft sahen wir uns nach einem Gasthof nahe beim Hafen um, ließen unser Gepäck aus dem Schiffe dahinbringen und gingen dann auf dem großen Marktplatze spazieren, ohne uns was Böses träumen zu lassen. Indessen kamen Diebe, erbrachen unser Zimmer und trugen alles fort, was wir bei uns hatten, ohne auch nur so viel übrig zu lassen, daß wir einen Tag davon hätten leben können. (
Toxaris
, Bd. 3, S. 263)
In den Evangelien wie auch in Romanen und anderen Quellen wird mehrfach auf Diebe und Diebstähle Bezug genommen. Diese Kleinkriminellen lehnen die gesellschaftlichen Normen nicht grundsätzlich ab, sondern nutzen, oft durch Gelegenheitsverbrechen, Schwachstellen aus. Räuber hatten die Möglichkeit, das Leben für jeden schwierig und gefährlich zumachen, und diese Macht nutzten sie. Doch so verabscheuenswert und beunruhigend sie waren, eine wirkliche Bedrohung stellten sie nicht dar und fanden auch zu keiner geschlossenen Gruppenidentität.
Unbesorgt außer Acht lassen kann ich auch die metaphorische Verwendung des Begriffs »Bandit« und verwandter Begriffe durch die römischen Eliten zur gegenseitigen Diffamierung im politischen Wettbewerb. Allgemein gesprochen war damit
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