Römer im Schatten der Geschichte
Banditen waren oder nur Sympathisanten, ist nicht klar. Von ihnen erhielt er besonders präzise Informationen, die ihm bei seinen Überfällen von Nutzen waren: »Erfuhr er doch von jedem, der aus Rom abreiste, von allen, die in Brundisium an Land gingen, wer und wie viele ihrer waren und was und wieviel sie mit sich führten« (Cassius Dio,
Römische Geschichte
77,10,2). Auch bei Apuleius mischen sich die Banditen unter die Mehrheitsgesellschaft und liefern der Gruppe zweckdienliche Hinweise: so wenn einer der Banditen zurückbleibt, um in Erfahrung zu bringen, welche Schritte die Behörden nach dem Überfall auf Milos Haus einleiten, wenn ein zweiter ausgeschickt wird, um die Möglichkeiten für künftige Raubzüge auszukundschaften, dann wieder, wenn man herausfinden will, wo Chryseros sein Geld versteckt hält (
Der goldene Esel
7,1 und 4,9). In der Erzählung über die Liebenden
Chaereas und Callirhoe
hat sich der Pirat Theron mit Booten im Hafen günstig in Stellung gebracht, von wo er, als Fährmann getarnt, sein Unwesen treibt. Die Gesetzlosen scheinen oft als Persönlichkeiten mit zwei Gesichtern konzipiert – einerseits gehen sie einer rechtmäßigen Beschäftigung nach, andererseits verdingen sie sich als Banditen oder Piraten. In Achilles Tatius’
Leukippe und Kleitophon
(5,7) trifft Kleitophon auf Molluskenfischer, die eigentlich Seeräuber sind. Wenn Bulla Felix Gefangene machte, »begnügte er sich damit, ihnen nur einen Teil ihres Besitzes wegzunehmen und sie dann sofort zu entlassen, Handwerker behielt er hingegen eine gewisse Zeit bei sich und nützte ihre Kunstfertigkeit, um ihnen dann wieder die Freiheit und dazu ein Geschenk zu geben« (Cassius Dio,
Römische Geschichte
77,10,3). Mit solchem Verhalten ließ sich jede Empörung der Bevölkerung gegenüber den Banditen beschwichtigen. Als der Marodeur Maternus mit seinen Plünderungen begann, ließ er Gefangene frei und nahm sie in seine Bande auf (Herodian 1,10,2); als gemeinnützige Maßnahme ist das zwar noch nicht zu bezeichnen, deutet aber in diese Richtung. Bei Apuleius besteht eine enge, symbiotische Beziehung zwischen den Banditen und Teilen der bürgerlichen Bevölkerung. Das wird besonders an zwei Stellen deutlich. In der folgenden Passage istdie Bande nach der Plünderung von Milos Haus auf dem Rückweg in ihr Lager:
Etwa um die Mitte des Tages, als die Sonnenhitze schon glühend wurde, kehrten wir in einem Dorf bei alten Leuten ein, die den Räubern bekannt und befreundet waren; denn dies konnte aus der ersten Begrüßung, dem ausgedehnten Gespräch und den getauschten Küssen selbst ein Esel entnehmen. Auch beschenkten sie ja die Leute mit einigen Sachen, die sie von meinem Rücken luden, und schienen in heimlichem Getuschel anzudeuten, daß es Räuberbeute sei. (
Der goldene Esel
4,1)
Solche Beziehungen ließen sich leicht unterhalten; sie waren für beide Seiten von Vorteil, und da sich die Banditen im Aussehen nicht von anderen Menschen unterschieden, konnten sie sich nach Belieben unerkannt unter die Menge mischen. Unter diesen Umständen ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Banditen sich mit der Gesellschaft als Ganzer mehr oder minder in Einklang sahen. Dieser »Einklang« bedeutete allerdings nicht, dass sie sich an die Spielregeln der Elite hielten, sondern ein Leben im Widerspruch zur Normalität.
Wer wird zum Gesetzlosen?
In den rechtsfreien Raum auszuweichen war ein möglicher Weg – vielleicht der einzige und gewiss der schnellste –, die schwere Hand des Gesetzes und seiner Vollstrecker zu lähmen, die die Armen der Armut, die Unterdrückten der Unterdrückung und das Vermögen ungefährdet den Händen der bereits Wohlhabenden überließ. Angesichts dieser Perspektiven ist es begreiflich, dass die Banden der Gesetzlosen in der stark stratifizierten Gesellschaft der römischen Antike in der Tat ein alternatives Leben führten: Ihr Lebensstil sucht nicht die Veränderung und ist keine Form des Widerstands. Er richtet sich vielmehr auf wenige ganz bestimmte Ziele, und seine soziale Dimension ergibt sich aus der Notwendigkeit, sie zu erreichen. Der Typus des Gesetzlosen sowie Ziele und Organisation der Gruppe werden erkennbar, wenn man versucht, die Perspektive der Gesetzlosen auf ihre Welt einzunehmen.
Eine Gruppe, aus der Gesetzlose hervorgehen, ist in den antiken Quelleneindeutig zu identifizieren: die Desperados. Bei Apuleius zum Beispiel stellt Hämus, der neue Bandenführer, fest, dass er zahlreiche
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