Römer im Schatten der Geschichte
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Einige Epitaphe allerdings lassen die Möglichkeit erkennen, dass es zu inneren Konflikten kommen konnte, wenn Männer einer
familia
sich in der Arena gegenüberstanden. Louis Robert zitiert die Beispiele von einem gewissen Olympos, auf dessen Grabstein man liest: »er schonte viele in der Arena« (Nr. 56), und Ajax: er »rettete viele Seelen« (Nr. 55). Solche Empfindungen lassen erkennen, dass diese Männer, und vielleicht auch andere, ihre Aufgabe zwar ernst nahmen, dass sie aber nicht mit unkontrolliertem Zorn oder Blutdurst kämpften. Sie fochten, um zu siegen, nicht um zu töten, wenn sich das vermeiden ließ. Doch selbst wenn man voraussetzt, dass die »Kampfregeln«, strikt eingehalten, sowohl eine erstklassige Schau als auch das beiderseitige Überleben ermöglichten, blieb doch immer der ungewollte Fehlstoß. Und natürlich bot allein dasZusammenleben in der
familia
keine Garantie dafür, dass alle Kämpfer der Truppe einander gewogen waren. Konkurrenzdenken, Stolz und Eifersucht – viele Affekte konnten die Mitglieder einer
familia
auch emotional gegeneinander in Stellung bringen. Das Nebeneinander von Freundschaft und Rivalität muss zu diffizilen Beziehungen geführt haben. Vielleicht war der beste Freund mitunter ein Vierbeiner: Robert nennt mehr als ein halbes Dutzend Grabreliefs für Gladiatoren, auf denen Hunde abgebildet sind (Abb. 31).
Abb. 31. Ein Gladiator und sein treuer Hund: Viele Gladiatoren sind auf ihren Grabsteinen mit einem Hund zu ihren Füßen abgebildet.
Ich habe bereits auf die Textstelle bei Plutarch hingewiesen, in der berichtet wird, dass einige Gladiatoren am Vorabend eines Kampfes ihre Frauen der Fürsorge von Freunden anvertrauten und ihre Sklaven freiließen. In seinen
Kaiserleben
schreibt Sueton von Claudius, dass der Kaiser einen
essedarius
(Wagenkämpfer) freiließ, der fünf Söhne hatte. Auch zahlreiche epigraphische Zeugnisse belegen, dass die Gladiatoren, ob Sklaven oder Freie, Familie hatten. Ihre Grabinschriften sind manchmalvon Mitkämpfern oder anderen Männern verfasst, am häufigsten aber von Frauen, oft mit Worten liebevoller Hingabe. Wenn die Gladiatoren in manch anderer Hinsicht den Soldaten verglichen wurden, so besteht hier ein deutlicher Unterschied: Soldatengräber sind nicht zufällig fast immer von einem Mann errichtet, da den Soldaten im Wehrdienst die Heirat lange Zeit verboten war. Die Grabinschriften von Gladiatoren zeigen somit in aller Deutlichkeit, dass sie, sofern es um die Familie ging, zur »normalen« Welt gehörten. In einer Reihe von Zueignungen sind sogar die Namen von Kindern aufgeführt, das Familienleben ging also über die reine Zweierbeziehung hinaus. Außerdem sollte nicht unbemerkt bleiben, dass der Begriff
contubernalis
(»Zeltgefährtin«), der für die Liaisons von Sklaven üblich war, die wie die Soldaten keine rechtsgültige Ehe schließen durften, in den Zueignungen der Gladiatoren fast vollständig fehlt. Vielmehr erscheinen
coniunx
oder
uxor
, beides Bezeichnungen für die gesetzliche Ehefrau. Es besteht kein Grund, diese Benennung nicht wörtlich zu nehmen. Freie Gladiatoren waren verheiratet, und Sklaven-Gladiatoren schienen bereitwillig die Terminologie zu benutzen, die eigentlich nur auf Freie anwendbar war. Trotz der Abschätzigkeit elitärer Rhetorik wäre es ungerechtfertigt, diese Frauen als »Groupies« zu betrachten, die beim Tod eines Gladiators an den nächsten weitergereicht wurden, vergleichbar langjährigen Prostituierten. Nach Form und ausgedrückter Empfindung ist zwischen den Gladiatoreninschriften und denen für andere Römer der Mittel- und Unterschicht keinerlei Unterschied festzustellen. Berücksichtigt man, dass ein Gladiator nicht nur den »Sex-Appeal« besaß, der in den Quellen der Oberschicht so regelmäßig erwähnt wird, sondern auch eine feste Anstellung, die ein- bis zweimal im Jahr ein Preisgeld in vielleicht beträchtlicher Höhe abwarf, ist es wenig erstaunlich, dass einige Männer dauerhafte Beziehungen eingingen und Kinder hatten.
Obwohl das laufende Training ein gutes Stück Zeit in Anspruch nahm, konnten die Gladiatoren kaum über mangelnde Freizeit klagen, denn im Allgemeinen kämpften sie nur selten. Ein intelligenter Manager muss sich deswegen nach Gelegenheiten umgesehen haben, seine Investition gewinnbringend einzusetzen. Als naheliegende Möglichkeit bot sich an, Fechter als Leibwächter zu vermieten. Leider ist diese Tätigkeit nur vereinzelt, und immer in Bezug auf die
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