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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Knapp
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poetische oder ästhetische Zwecke nicht beizustimmen, um seinem Werk plausible Tatsachen über die »wirklichen« Freigelassenen und ihr Verhalten zu entnehmen. Er hat diese Tatsachen benutzt und sie seinen Zwecken gemäß eingesetzt. Dasselbe können Sozialhistoriker tun – das Material so anwenden, wie es einem ungefähren Bild des Freigelassenen und seiner geistigen Welt entspricht. Dieses Vorgehen ist allerdings nicht ungefährlich: Der Historiker kann leicht einer Täuschung unterliegen. Es zeigt sich, dass einige literarische Werke mehr, andere weniger unmittelbar in dieser Welt verankert sind. Und die Historiker werden den Prozess von Einblick und Täuschung aus unterschiedlichem Blickwinkel angehen. Die Schwierigkeit liegt darin zu beurteilen, wieweit die literarische Welt ein Konstrukt des Autors ist, das die nicht-elitäre Welt verbirgt, und wieweit sie zur Aufdeckung dieser Welt benutzt werden kann. Dabei ist es entscheidend, so sorgfältig wie möglich zu arbeiten, um das nützliche Material zu sichern und das Narrativ der Dominanz, in das es vom Autor eingearbeitet ist, beiseite zu lassen. Man staunt, wie viele sozialhistorische Details antiken Autoren zu entnehmen sind, die (zumeist) auf anderes aus sind. Es gibtviele Aspekte des Alltagslebens, die die Elite – ein Cicero, Tacitus, Martial, Juvenal oder Plinius – hätte sehen können, wenn sie es denn gewollt hätte. Aber dergleichen lag außerhalb ihres Interesses; sie richten den Blick nur selten auf die Menschen, in deren Lebenswirklichkeit diese Details ihren Platz hatten. Die hohe Literatur öffnet dem Historiker also keine Fenster, sondern nur Gucklöcher, wenn er die gewöhnlichen Römer in den Blick nehmen will.
    Wichtiger für mein Vorhaben ist ein anderes Spektrum literarischer Werke. Als Beispiel sei Lukian genannt. Er stammte aus einer Handwerkerfamilie in Samosata im römischen Syrien. Seine Eltern sorgten dafür, dass er eine elementare Schuldbildung erhielt, wie es damals allgemein üblich war. Danach sollte er auf Wunsch seines Vaters etwas Nützliches lernen, aber die Bildhauerlehre bei einem Onkel war ein Fehlschlag; Lukian bildete sich weiter und wurde schließlich zum professionellen Rhetor. Aus seinem Werk spricht Sympathie für die Menschen der breiten Bevölkerung, eingeschlossen die Armen; Anstöße zu einem Aufbegehren gegen das Establishment allerdings fehlen.
    Andere Werke teilen dieses Interesse. Schon die Erwähnung, man wolle Romane und Romanzen, wie man die volkstümlichen griechischen Liebesgeschichten erst heute nennt (in der antiken Literaturkritik waren diese Gattungsbezeichnungen unbekannt), als historische Quellen benutzen, könnte Stirnrunzeln auslösen, denn was wäre historischer Forschung weniger dienlich als die bewusst fiktionale Wiederbelebung antiker Wirklichkeit, so künstlerisch überzeugend sie als Drama oder Abenteuer des »wirklichen Lebens« auch maskiert ist? Einerseits ist es möglich, alle Geschichte als Fiktion zu denken: »Geschichte ist nicht einfach ein Katalog von Ereignissen in der richtigen Reihenfolge wie ein Eisenbahnfahrplan. Geschichte ist eine Darstellung von Ereignissen« (A. J. P. Taylor). Dasselbe ist erklärte Fiktion. Das »Reale« vom »Fiktiven« zu trennen ist für beide Gattungen eine diffizile Aufgabe. Petron kann als historische Quelle benutzt werden – wenn er sorgfältig benutzt wird; dasselbe gilt aber für die Verwendung rein »historischer« Quellen. Die antike Belletristik wird im Folgenden als wichtige Quelle dienen. Ich nenne drei Beispiele dafür, wie die betreffenden Werke zu diesem Zweck verwendet werden können und müssen. Da ist zunächst Fergus Miller. Angeregt durch den Versuch eines Fakultätskollegen, die Realität hinter dem japanischen Klassiker
Die Geschichte
von Genji
zu rekonstruieren, verfasste er 1981 den bahnbrechenden Aufsatz über »The World of
The Golden Ass
«. Er wies darin zweifelsfrei nach, dass Apuleius’ Roman einer Verwandlung und Erlösung erkennbar in der Welt des kaiserlichen Rom des 2. Jahrhunderts angesiedelt ist. Keith Hopkins analysierte die Erzählung vom Leben des Äsop und erschloss viele Wahrheiten und Erkenntnisse über die Welt der Sklaven. Und schließlich ist John D’Arms zu nennen, der schlüssig dargelegt hat, wie Petrons Welt der
Satyrica
intelligent genutzt werden kann, um gewisse Aspekte der römischen Lebenswelt von Mittel- und Unterschicht des späteren 1. Jahrhunderts sichtbar zu machen. Zu diesem Quellentypus

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