Römer im Schatten der Geschichte
vollziehen«, und bezieht sich damit vermutlich auf Oralsex (
Mathesis
6,31,38 f.). Artemidor ist sich des vollen Spektrums sexueller Praktiken eindeutig bewusst, wenn er von Ehepaaren spricht, die im Traum die ganze Palette üblicher und abweichender Positionen und Akte nutzen, auch wenn seine Deutungen immer auf das Grundprinzip zurückgehen, dass Herrschaft gut, Unterwerfung schlecht sei.
In welchem Ausmaß lesbische Liebe Eingang ins Leben der gewöhnlichen Frauen fand, ist unmöglich abzuschätzen; dass sie vorkam, steht jedoch fest. So lesen wir bei Pseudo-Lukian:
Recht so, du neue Zeit, die du seltsame Lüste sanktionierst und neue Bahnen der Wollust den Männern eröffnest, gib denn dieselbe Vergünstigung auch den Weibern und laß sie wie Männer miteinander verkehren. Die Erfindung schamloser Instrumente verwertend, den monströsen Zauberstab unfruchtbarer Liebe, soll das Weib beim Weibe schlafen wie ein Mann; jenes Wort, das bisher nur selten an das Ohr drang – ich schäme mich es zu nennen – tribadische Unzucht mag zügellos ihre Trümpfe feiern. Alle unsere Frauengemächer sollen voll sein von den Schamlosigkeiten der androgynen Liebesszenen einer Philainis. (
Erotes
–
Ein Gespräch über die Liebe
28)
Artemidor zufolge, der in seinem Werk die Möglichkeit sexueller Kontakte zwischen Frauen erwähnt, wurde lesbische Liebe in der breiten Bevölkerung praktiziert:
Wenn eine Frau eine andere gebraucht, wird sie ihre Geheimnisse der Beischläferin mitteilen. Kennt sie aber diese nicht, wird sie nutzlose Handlungen in Angriff nehmen. Wird eine Frau von einer anderen in Anspruch genommen, wird sie sich von ihrem Ehemann trennen oder verwitwen; nichtsdestoweniger wird sie die Geheimnisse der Beischläferin kennenlernen. (
Traumbuch
1,80)
Diesen sachlichen Darstellungen der Homosexualität zwischen Frauen stehen andere gegenüber, denen zufolge gleichgeschlechtliche Beziehungen von Frauen zu vermeiden waren, so die Verurteilung heidnischer Frauen durch Paulus im Römerbrief: »denn ihre Weiber haben verwandelt den natürlichen Brauch in den unnatürlichen« (Römer 1,26).
Frauen im Haushalt
Neben dem ehelichen Sexualleben standen den Frauen zahlreiche weitere Quellen der Freude und des Vergnügens offen. Wie bereits ausgeführt, hätte eine Frau ihre Rolle niemals in Frage gestellt – zu stark und folgenreich war die kulturelle Prägung, und Verhaltensmuster anderer Art standen nicht zur Wahl. Wenn sie sich aber in Einklang mit den Gegebenheiten befand, besaß sie ein hohes Maß an emotionaler Sicherheit, und hatte sie ihrem Wert und damit ihrer Stellung durch die Geburt von Kindern erst einmal Geltung verschafft, waren kaum noch Probleme zu erwarten, auf deren Bewältigung ihre Erziehung sie nicht vorbereitet hätte. An Traumatisierung durch Kinderlosigkeit, durch Unfruchtbarkeit, durch Kindersterblichkeit wird es nicht gefehlt haben, doch eine Frau war selten allein, so dass psychologische Unterstützung bereitstand und ihr half, mit diesen »zu erwartenden« Rückschlägen fertigzuwerden.
Die gesammelte Aufmerksamkeit der Eltern galt ihren Kindern. Diese standen im Mittelpunkt und waren von so fundamentalem Wert, dass die Mutterschaft den ersten Christen als besondere Gabe der Frau, alsder ihr eigene Weg zum ewigen Leben galt: »Sie wird aber selig werden durch Kinderzeugen, so sie bleiben im Glauben und in der Liebe und in der Heiligung samt der Zucht« (1. Timotheus 2,15). Ein Brief aus Ägypten ist beredter Ausdruck von Zuwendung, Teilnahme und Sorge:
Isidora ihrem Her[rn Brud]er Hermias vielmals Grüße. Setze alles daran, [schi]ebe alles auf und komme morgen. Das [Ki]nd ist krank; dünn ist es gewor[den, hat nicht] gegessen. 6 Tage sind es nun, ich fü[rchte,] es stirbt, und du bi[st] nicht [hi]er. Werde dir aber darüber klar, daß, wenn es s[tirbt], und du bist nicht da – paß auf, daß [nicht] Hephaistion findet, wie ich mich erhängt [habe] … (
PSI
III 177, Oxyrhynchos, 2. und 3. Jh. n. Chr./TUAT N. F. 5 [2010] S. 349)
Unter normalen Umständen liebten Mütter ihre Kinder, auch wenn wie in jeder Gesellschaft abnormes Verhalten vorkam. Die Aussetzung von Kindern gehört zu den Erscheinungen der Antike, mit denen sich der moderne Mensch besonders schwer tut. Von Juden und Christen wurde der Brauch verurteilt, er war jedoch tief verwurzelt und gesellschaftlich weit verbreitet. Es ist schwer, sich in die Gedankengänge einer Familie hineinzuversetzen, die ihr
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