Römer im Schatten der Geschichte
»Männer sind nun mal Männer« –, um neben dem Ziel der Fortpflanzung auch die psychologische Seite der ehelichen Sexualität gelten zu lassen. Dass die erklärtermaßen keuschen Frauen derb und drastisch männlicher Sexualität ausgesetzt waren, sei es in Riten wie den Lupercalia, sei es angesichts der Genitalien, die sich ihren Blicken darboten, wenn sie beim Kult der Fortuna virilis (Ovid,
Fasti
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Sagen des römischen Festkalenders
133 – 156) zusammen mit den Männern die Bäder aufsuchten, führte vor Augen, dass der Mann der Herr und Schöpfer war, die Frau aber das Gefäß.
Unverblümte sexuelle Anspielungen fanden sich allerorten. In Pompeji zum Beispiel steht die Zeile »Hier wohnt das Glück«
(hic habitat felicitas)
über und unter dem Symbol der männlichen sexuellen und beschützenden Macht, dem Phallus (
CIL
IV 1454/Hunink, Nr. 370). Den Männern stand es mehr oder weniger frei, ihr sexuelles Potenzial mit Sklaven und Prostituierten auszuleben, den Frauen nicht. So war das sexuelle Vergnügen »respektabler« Frauen auf die Ehe beschränkt. Und ihr Vergnügen hatten sie durchaus – und mussten es auch haben, wenn die Empfängnismöglich sein sollte. In den medizinischen Schriften von Hippokrates bis zu Galen und Soranus wird der weibliche Orgasmus, zumindest aber eine positive Einstellung zum Geschlechtsverkehr, mit der Empfängnis verknüpft. Folglich war im Rahmen der maßgeblichen Funktion der verheirateten Frau das Vergnügen an der Sexualität nicht nur erlaubt, sondern auch erhofft.
Das Spektrum dieses Vergnügens reichte von »heiterer Pflichterfüllung« bis zum Schwelgen in sexuellen Exzessen. Die von Paulus im ersten Korintherbrief (7,2 – 5) geäußerten Anschauungen sind beispielhaft für die Erfahrung der Frau: Sex ist »Pflicht«.
Aber um der Hurerei willen habe ein jeglicher sein eigen Weib, und eine jegliche habe ihren eignen Mann. Der Mann leiste dem Weib die schuldige Freundschaft, desgleichen das Weib dem Manne. Das Weib ist ihres Leibes nicht mächtig, sondern der Mann. Desgleichen der Mann ist seines Leibes nicht mächtig, sondern das Weib. Entziehe sich nicht eins dem anderen, es sei denn aus beider Bewilligung … (vgl. auch 1. Thessalonicher 4,3 – 6)
Bei Galen findet sich eine Zustimmung zu dieser verhaltenen, doch wenigstens potenziell vergnüglichen ehelichen Erotik, wenn er die Christen wegen ihrer »Zurückhaltung beim Beilager« lobt, und auch Seneca preist die unterkühlte Ehefrau. Glaubt man dem Dichter Lukrez, auch er der Elite zugehörig, war die weniger leidenschaftliche Position
a tergo
beim ehelichen Beischlaf die bevorzugte:
Eine sehr große Bedeutung gewinnt auch die Art des Vollzuges / lockenden Lebensgenusses. Nach weit verbreiteter Meinung / werden die Frauen leichter geschwängert, wenn sie den Samen / wie die vierfüßigen Tiere empfangen: Der Samen erreiche / eher sein Ziel bei tiefliegender Brust und erhobenen Schenkeln. (
De rerum natura
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Das Wesen des Weltalls
4,1263 – 1267)
Die »Missionarsstellung« führte allzu leicht zu unnötiger, exzessiver Leidenschaft und zum Coitus interruptus als Mittel zur Verhütung einer Schwangerschaft:
Geile Bewegungen nützen den Gattinnen nicht im geringsten. / Sie widersetzen sich nur der Empfängnis und können sie hemmen, / wenn sie wollüstig, mit schwingenden Hüften, den drängenden Gatten / auffangen, ihn zum Ergußnoch reizen mit wogenden Brüsten, / lenken sie doch das Pflugschar lediglich in die verkehrte / Richtung und lassen den Ausstoß des Samens das Ziel nicht erreichen. (
Das Wesen des Weltalls
4,1268 – 1273)
Am anderen Ende des Meinungsspektrums findet sich ein Diktum des Dichters Publilius Syrus: »Eine willfährige Ehefrau hält den Mann von Huren ab« (
Sentenz
492). Angesichts der sexuellen Kompetenz zumindest einiger Prostituierter war damit die Messlatte für eine Reihe von Paaren wohl recht hoch gelegt.
»Natürliche« Erotik also konnten die Ehefrauen auskosten, verpönt war dagegen »abweichendes« Verhalten im Ehebett. In einer seiner Fabeln schreibt Phaedrus, Prometheus machte bei der Schöpfung des Menschen nach »der Bildung des Schamglieds die Zunge der Frau. / Von da kommt die Nachbarschaft des Obzönen« (
Äsopische Fabeln
4,15). Für einige verheiratete Paare gehörte oraler Sex aber eindeutig dazu: Firmicius schreibt in einem seiner Horoskope, ein Zeichen zeige an, dass ein Ehemann und seine Frau »unreinen Geschlechtsverkehr
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