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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Knapp
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seiner Größe, zum andern wegen seiner politischen Bedeutung als Hauptstadt. So naheliegend es scheint, in einer Abhandlung über die Armen des Römischen Reiches die römische Plebs mit den städtischen Armen überhaupt gleichzusetzen – dieser Verlockung darf man nicht nachgeben. Material aus Rom sollte sehr sorgfältig benutzt werden, im Blick darauf, dass nur solche Faktoren als Belege ausgewählt werden, die für die Armen des ganzen Reiches kennzeichnend sind.
    Während ein allgemeines Bild der Verhältnisse klar erkennbar wird, erlaubt es die Quellenlage nicht, über das Leben der Armen im Römischen Reich in aller Ausführlichkeit und aus ihrer eigenen Sicht zu berichten. Die Behandlung der Armen im Tod entspricht dem Wert, den man den Lebenden beimaß: Ihre sterblichen Überreste wurden verbrannt und die Asche in unbeschriftete Urnen geleert, oder die Leichname wurden in Massengräber geworfen. Solche Bestattungsformen sind auf der Isola Sacra zwischen Ostia und Rom (Abb. 8) sowie in Nordafrika entdeckt worden. Horaz nennt einen Bereich auf dem Esquilin: »Hierher ließ einst der Sklave den toten Sklaven im billigen Sarge schaffen, wenn man den Leichnam aus der engen Zelle warf« (
Sermones

Satiren
1,8,8 – 13). Im Leben wie im Tod sind die Armen stumm, oder doch beinahe stumm – wie sie es auch heute meist noch sind.

Abb. 8. Die Toten der Armen: Die Bedürftigen wurden meist ohne jedes Zeremoniell auf den Armenfriedhöfen außerhalb der Städte begraben. Dass Arme sich manchmal auch bescheidene Bestattungen leisten konnten, zeigt die Rekonstruktion des Gräberfelds auf der Isola Sacra bei Ostia.
    Die Liste der wenigen überlieferten Quellen, die dem Wissenschaftler Material zur Sichtweise der Armen selbst liefern, führt die Schwierigkeit vor Augen: Sprichwörter, Fabeln, Volkslieder, mündliche Überlieferung, Legenden, Witze, Sprache, Rituale und Religion. Davon aber stehen den Sozialhistorikern der Römerzeit nur Sprichwörter und Fabeln sowie Bruchstücke von Witzen und die Religion zur Verfügung. Sprichwörter kommen in vielen Formen und Kontexten vor. Fabeln, die ausführliche Form der Sprichwörter, finden sich in der Sammlung von Äsops Geschichten und anderen Anthologien. Natürlich gab es Volkslieder, die vielfach erwähnt sind, so bei Dion Chrysostomos, dem Schriftsteller aus der Oberschicht:
     
    … – wie Männer, die beim Fortstemmen einer schweren Last rufen und singen und sich dadurch die Arbeit unbemerkt erleichtern: Arbeiter, keine Sänger und Liederdichter. (
Sämtliche Reden. Von der Herrschaft 1
1,9)
     
    Doch keines dieser Lieder ist überliefert. Legenden, Sprache und Rituale existieren nur in winzigen Bröckchen oder in einem durch die Hand von Autoren stark entstellten Kontext.
    An wissenschaftlichen Untersuchungen zu Sprichwörtern und Fabeln ist kein Mangel, doch erst in jüngster Zeit hat man versucht, ihren Inhalt auf die Lebenswirklichkeit der Armen zu beziehen. In der Antike war man sich darüber im Klaren, dass diese Gattungen Ausdruck dessen waren, was man heute Volksmoral nennt. Vergleichende Untersuchungen betonen auch ihren Wert für die Erforschung der geistigen Welt der Mittel- und Unterschicht und im Besonderen der am stärksten unterdrückten Mitglieder der Gesellschaft, der Armen und der Sklaven. Einzelbeispiele können natürlich vom Kontext ihrer Anwendung abhängen, und sowohl das einfache Volk wie die Elite schätzte und benutzte Fabeln im persönlichen Leben. Hinzu kommt, dass einige Sprichwörter und Fabeln ziemlich rätselhaft sind. Doch überlegtes Vorgehen kann nützliche Resultate zeitigen. Die Zusammenstellung erzählerischer Topoi macht Grundwerte deutlich. Wegweisend ist hier Teresa Morgan, die in ihrer sorgfältigen und umfassenden Untersuchung
Popular Morality in the Early Roman Empire
zu ähnlichen Schlüssen kommt, wie ich sie aus meinen eigenen Forschungen gezogen habe. Ich benutzte hier ausgewählte Sprichwörter und Fabeln als wesentlichen Zugang zur geistigen Wirklichkeit der Armen.
    Aus der Antike ist ein einziges Buch mit Witzen überliefert, obwohl man von einer weit größeren Zahl ausgehen kann. Aber schwieriger noch als bei Sprichwörtern und Fabeln ist hier auszumachen, was als Verweis auf das Denken der Armen dienen kann. Bemerkungen, die das religiöse und philosophische Denken betreffen, sind über die klassische Literatur verstreut, müssen aber zunächst auf einen möglichen Bezug zur Sichtweise der Armen untersucht

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