Römer im Schatten der Geschichte
alltäglichen Belangen. Die prominente Rolle der Isis als starke Schutz- und Muttergöttin zum Beispiel, oder die Frau, von der die Evangelien berichten, sowie der Verweis auf die Familienideale, die in der frühchristlichen Literatur einen so hohen Stellenwert einnahmen, fanden ihren Widerhall bei der Suche der Frauen nach Lösungen für die eigenen Lebensfragen. Kurz: Auch wenndie Frauen bei Kulthandlungen außerhalb des Hauses keine führende Funktion innehatten, fanden sie in der sozialen Vernetzung am Rande der Feste und in kultischen Aktivitäten eine stetige Quelle gegenseitiger Hilfe und in besonderen Ritualen und Tätigkeiten auch Lösungen für ihre Alltagsprobleme.
Wurden sie auf eigenem Boden herausgefordert, konnten die Frauen ihre Interessen auch offensiv verteidigen. Philostrat legt dem Apollonios eine Geschichte in den Mund, in der ein äthiopisches Dorf von einem Satyr heimgesucht wird – ein Geschehen in weiter Entfernung vom Mittelmeer, das aber zweifellos die Angriffslust auch dortiger Frauen widerspiegelt:
… vernehmen sie plötzlich ein Geschrei von Weibern, die einander zum Fangen und Verfolgen aufriefen … (
Das Leben des Apollonios von Tyana
6,27)
Auch wenn es sich hier um Dichtung handelt – es sei denn, wir wollten an Satyrn glauben –, konnten Frauen im wirklichen Leben doch mit derselben Aggressivität auftreten, wenn ihre Interessen auf dem Spiel standen. Zu Anfang des Kapitels ist ein Zeugnis Philos von Alexandria wiedergegeben, demzufolge sich Frauen in Alexandria aktiv an gewalttätigen Aufständen beteiligten. Laut dieser anschaulichen Schilderung sammelten sich die Frauen in den Straßen, verfluchten ihre Feinde und griffen sie tätlich an. Auch in den Theatern waren die Frauen präsent und stimmten in die Rufe ihrer männlichen Verwandtschaft ein, wenn dieser Schauplatz wie so oft benutzt wurde, um Unruhestiftung und Schlimmeres anzuprangern und zu bestrafen. Und ihre Stimmen wurden gehört.
Fazit
In diesem Kapitel wurden viele Belege für die aktive Rolle vorgelegt, die gewöhnliche Frauen in ihrem eigenen Leben, im Leben ihrer Familie und außerhalb des Hauses spielten, darunter der Abschluss von Geschäftsverträgen, Landbesitz und dessen Verwaltung sowie sozioreligiöse Aktivitäten. Sie lebten innerhalb ihrer Kultur weder als weitgehend müßige Gebärerinnen noch als bloße Dekorationsobjekte. Wie zu erwarten, warihre Tätigkeit mit jedem Zoll des kulturellen Teppichs verwoben. Für die Elite war die Frau ein dekoratives Anhängsel, keine Partnerin, und man tat alles, sie auf diese Rolle festzulegen. In der Welt der gewöhnlichen Leute hatte der »Luxus« der eingeschlossenen, behüteten Frauen keinen Platz. Jede Hand wurde gebraucht, um den Haushalt – unter günstigen Umständen – in Gang zu halten, oder um recht und schlecht über die Runden zu kommen, wenn die Verhältnisse angespannt waren. Der Freimut der Frauen, die kleinen Druckmittel, die ihnen im Umgang mit dem Ehemann zur Verfügung standen, ihr wirtschaftlicher Beitrag, ihre Rolle bei der Sozialisierung der nächsten Generation – all das blieb eingeordnet in eine männlich dominierte Kultur, aber der Spielraum für Aktivität und Einflussnahme war beträchtlich. Von »Befreiung« zu sprechen wäre übertrieben, doch wie in anderen vorindustriellen Gesellschaften leisteten die Frauen einen erheblichen Beitrag, übten großen Einfluss aus und waren starke Partner ihrer Ehemänner und anderer Männer, wenn es darum ging, Möglichkeiten zu finden, das Leben in den Griff zu bekommen.
KAMPF UMS ÜBERLEBEN:
DIE ARMEN
M an darf zu Recht davon ausgehen, dass die breite Bevölkerung des Römischen Reiches an Armut litt. Die Armen waren freie Männer und Frauen, die überwiegend von der Hand in den Mund lebten, das heißt, sie hatten gerade genug, um satt zu werden, und nur selten genug, um zu sparen, zu investieren und eine Veränderung ihrer Situation herbeizuführen. Ihr gesamtes Interesse war auf ein einziges Ziel gerichtet – das Überleben. Vorwärts zu kommen war eine Möglichkeit, die jedoch wenig wahrscheinlich war und, wie zu zeigen sein wird, ihrer geistigen Welt nicht entsprach. Im
Carmen
findet sich eine fast gleichlautende zeitgenössische Erklärung der Armut: Sie wird definiert als Mangel an »Brot, den Bauch zu füllen, oder Kleidung, sich hineinzuhüllen«, und »Fehlen des täglichen Brots« (1,22; 1,24). Artemidor siedelt die Armen am unteren Rand der Gesellschaft an: »Die
Weitere Kostenlose Bücher