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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Knapp
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sich ein immerwährender Zustand der Erniedrigung. Es war dieser Abscheu vor dem Überschreiten der Statusgrenzen, der bloße Geringschätzung zu Hass werden ließ.
    Das größte Übel waren die Ex-Sklaven der kaiserlichen Familie. Sie sind in die vorliegende Darstellung im Allgemeinen nicht einbezogen, weil sie sich von den gewöhnlichen Freigelassenen durch ihre besondere Beziehung zum Kaiserhof unterscheiden; zu erwähnen ist jedoch, inwiefern sie für die Wahrnehmung der Freigelassenen durch die Elite von Bedeutung waren. Die Verbindung mit dem Herrscher aller Herrscher verlieh den kaiserlichen Freigelassenen ein besonderes Prestige. Ihnen oblag die Verantwortung, den Apparat des Imperiums in Gang zu halten, denn der Kaiser betrachtete das Reich als großen Haushalt, der zu verwalten war wie jeder andere Besitz. Sie konnten ihre Position zu ihrem Vorteil nutzen, um sich als Agenten des Kaisers dreist hervorzutun – auf Kosten der Elite, die sich den Wünschen des Kaisers fügen oder die Konsequenzen tragen musste. Die Situation war also doppelt ärgerlich: Die Elitemusste sich dem Kaiser beugen und ebenso seinen Agenten, die einmal
Sklaven
gewesen waren.
    Der Hass auf die kaiserlichen Freigelassenen, aber auch auf die blasierten Freigelassenen allgemein, führte dazu, dass diese gesellschaftliche Gruppe zur Zielscheibe schonungsloser Schmähungen wurde. Man zeigte ihnen die kalte Schulter und diffamierte sie als zeitlebens minderwertige und verächtliche Kreaturen, die nach Gesetz und Sitte als unwürdig galten, sich in der Politik, durch Heirat oder wie auch immer mit der Oberschicht zu mischen. Angesichts der Mentalität der Elite ist das alles verständlich. Allzu oft aber wird diese Einschätzung der Freigelassenen verallgemeinert. Dagegen versuche ich im Folgenden, die Lebenseinstellung der gewöhnlichen Freigelassenen und das eklatante Missverhältnis zwischen ihrem Leben und den negativen Darstellungen von Freigelassenen durch die Elite sichtbar zu machen.
    Parallel zu den Anfeindungen der Freigelassenen durch die antike Elite besteht ein Missverständnis auch in moderner Zeit – die Auffassung, dass die Freigelassenen zur Bourgeoisie gehören. So wie der alte Adelsstand die Freigelassenen im Bann seiner Vorurteile beschrieb, hat man in den letzten zwei Jahrhunderten wiederholt versucht, sie als »Mittelklasse« zu verstehen, weil sie häufig in Handel und Industrie tätig waren. Eine solche »Klasse« sind sie jedoch in keiner Bedeutung, die heutigen Vorstellungen von »Mitte« entspräche, noch erfüllen sie die soziopolitischen Voraussetzungen einer Bourgeoisie. Heute sehen viele Wissenschaftler glücklicherweise von solchen Beschreibungen ab, sie finden sich jedoch in älteren Werken und oberflächlichen populären Darstellungen.
    Einen unangenehmen Beigeschmack erhält die Diskussion über Freigelassene durch rassistische Untertöne. Spätere Autoren finden ihr Stichwort bei Tacitus und Juvenal und folgen deren scharfer Attacke auf den »Orontes, der in den Tiber fließt«. Von der Vorstellung ausgehend, die Völker im östlichen Teil des Reiches seien ganz allgemein weibisch, hinterhältig und widerwärtig, war die Elite überzeugt, dass die meisten Sklaven (jedenfalls solche, die zu blasierten Freigelassenen wurden) dort ihre Wurzeln hätten und die alteingesessenen, männlichen, moralischen Italiker Roms verdrängten. Dies führe, so dachten sie, schließlich zu einem endgültigen Niedergang römischer Eigenart überhaupt. Im frühen 20. Jahrhundert verfasste der große Althistoriker Tenney Frank einenäußerst einflussreichen Aufsatz, in dem er anhand epigraphischer Belege aus Rom zu »beweisen« suchte, dass die These der Alten zutreffe. Er kam zu dem Schluss, dass während des Kaiserreichs nur zehn Prozent der Römer »reinblütige« Italiker gewesen seien, volle achtzig Prozent der Einwohner Roms hingegen Freigelassene und deren Nachkommen aus dem östlichen, »orientalischen« Teil des Imperiums. Für heutige Leser ist diese Analyse unverhohlen eurozentrisch, rassistisch und ein Paradebeispiel des Orientalismus. Doch diese Statistik und die Folgerungen fügen sich so nahtlos in die parteiischen Ansichten der antiken Elite, dass sie von A. M. Duff in seiner grundlegenden Darstellung der Freigelassenen (1928) nicht ernsthaft in Frage gestellt wurden: »Es scheint also, als hätten Freigelassene und ihre Nachkommen in großem Ausmaß zum Untergang Roms beigetragen … die Freilassung, wenn sie

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