Römischer Lorbeer
ihm
meine Begegnung mit Egnatius, weil ich dachte, es würde ihn
amüsieren, daß ich eine Zeile aus seinem Gedicht als
Abgang benutzt hatte. Allerdings wurde mir schnell klar, daß
das ein Fehler gewesen war.
»Dann ist er
jetzt bei ihr«, sagte er zähneknirschend.
»Egnatius und Lesbia. Verdammt seien sie
beide!«
»In der Taverne
hast du angefangen, mir eine Geschichte zu erzählen«,
sagte ich, um ihn abzulenken.
»Eine
Geschichte?«
»Ein Skandal um
einen ihrer Vorfahren. Ein Appius Claudius. Nicht der Erbauer eines
Tempels oder Aquaedukts -«
»Ach ja,
derjenige, der versucht hat, Verginia zu vergewaltigen. Der einzige
Vorfahre, über den sie nicht gerne sprechen. Dabei
verkörpert er die jetzige Generation besser als all die
Tugendbolde auf ihren Sockeln. Du hast mich gefragt, ob sie etwas
so Verrücktes tun würde, wie sich selbst zu vergiften,
nur um sich an einem Liebhaber zu rächen. Es liegt ihr im
Blut.«
»Im
Blut?«
»Höre meine
Geschichte. Sie hat sich vor langer Zeit in den Anfangstagen der
Republik ereignet, nachdem die Könige vertrieben worden waren,
aber bevor Patrizier und Plebejer einen Weg gefunden hatten, in
Frieden miteinander zu leben. Die Chronologie der Ereignisse kenne
ich nur sehr vage - ich bin schließlich Dichter, kein
Historiker! -, aber irgendwann gelang es jedenfalls einer Gruppe
von zehn Mächtigen, die Kontrolle über den Staat an sich
zu reißen. Sie nannten sich Dezemvirn und errichteten eine
Schreckensherrschaft. Zum Wohle Roms, versteht sich - um die
herrschende Krise zu lösen und den wachsenden Unmut zu
beheben, et cetera, et cetera.«
»Und Appius
Claudius war einer dieser Dezemvirn?«
»Ja. Nun gab es
in Rom zu jener Zeit auch ein wunderschönes junges
Mädchen namens Verginia, Tochter des Verginius. Sie war eine
Jungfrau und mit einem aufstrebenden jungen Politiker verlobt. Doch
eines Tages sah Appius Claudius sie zufällig auf dem Weg zu
ihrer Mädchenschule auf dem Forum und wurde augenblicklich von
brennendem Begehren für sie erfaßt. Er stellte ihr
überall auf den Straßen und Märkten nach und
versuchte, sie von ihrer wachsamen Kinderfrau wegzulocken, um sie
zu verführen. Doch Verginia war ein tugendhaftes Mädchen
und wollte nichts mit dem Lüstling zu tun haben. Sie wies ihn
offen zurück, doch je heftiger sie ihn abwies, desto
entschlossener wurde er in seinem Ansinnen, sie zu
besitzen.
Schließlich
heckte er einen Plan aus, sie in seine Gewalt zu bringen, und sei
es nur lange genug, um sie einmal zu nehmen. Erwartete, bis ihr
Vater in militärischem Auftrag von zu Hause weg mußte
und gab einem seiner Lakaien, einem Mann namens Marcus,
entsprechende Anweisungen. Als Verginia eines Morgens in Begleitung
ihrer Kinderfrau zur Schule kam, ergriffen Marcus und einige seiner
Männer das Mädchen. Die Menschen waren entsetzt und
wollten wissen, was das zu bedeuten hätte. Marcus
erklärte, das Mädchen sei eine Sklavin von ihm, die er
zurückfordere. Die Leute wußten nur zu gut, daß
Verginia die Tochter des Verginius war, aber sie wußten auch,
daß Marcus Appius Claudius’ Lakai war, und hatten Angst
vor ihm, so daß sie, nachdem er ein großes Getue um
Gerechtigkeit und seine Rechte gemacht hatte, zuließen,
daß er Verginia vor ein Tribunal zerrte, um die Sache
richterlich klären zu lassen.
Natürlich war der
Vorsitzende Richter niemand anderes als der Dezemvir Appius
Claudius selbst. Sein Lakai Marcus trug eine lachhafte Geschichte
vor: Verginia wäre gar nicht Verginius’ Tochter, sondern
in Wirklichkeit die eines seiner eigenen Sklaven und als
Säugling aus seinem Haus gestohlen und Verginius als sein
eigen Fleisch und Blut untergeschoben worden. Marcus behauptete,
später Beweise für all seine Behauptungen vorlegen zu
wollen. Entscheidend jedoch wäre, daß das Mädchen
in Wahrheit eine Sklavin sei, seine Sklavin, die er mit Fug und
Recht zurückfordere.
Der Richter Appius
Claudius gab vor, alles sorgsam abzuwägen, als würde er
es zum ersten Mal hören, während er in Wahrheit der
Urheber des Komplotts war. Man kann sich vorstellen, wie er die
Lippen mit Marcus bewegte, während dieser die Zeilen aufsagte,
die Appius ihm eingegeben hatte! Schließlich erklärte
er, der Status des Mädchens könne endgültig nur in
einer förmlichen Anhörung festgestellt werden. Verginias
Freunde erklärten, daß ihr Vater in militärischem
Auftrag unterwegs sei, jedoch am nächsten Tag nach Rom
zurückkehren könnte. Appius Claudius willigte ein,
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