Römischer Lorbeer
Hals über
Kopf in die unpassendste Person. Ich nehme an, Clodia war
ihrerseits durchaus fasziniert von ihm - die perverse Anziehung der
Gegensätze. Ich weiß nicht, ob die beiden dieser
Anziehung nachgegeben haben. Sie hat behauptet, sie hätten,
aber ich dachte mir, daß sie lügen würde, um mich
zu verletzen. Das Ganze ist Jahre her, aber das macht ihn für
sie heute um so gefährlicher.«
»Gefährlich?«
fragte ich, nicht ganz begreifend, was er meinte. Ich war
mittlerweile sehr müde.
»Männer wie
Cicero mögen es nicht, mit solchen Erinnerungen zu leben. Sie
halten es für eine Schwäche. Sie ziehen es vor, sie
auszulöschen.«
Ich versuchte mir
Cicero als Liebhaber vorzustellen - den strengen, mürrischen
Cicero -, doch ich war zu müde, um dafür die geistige
Energie aufzubringen. Vielleicht hatte ich auch Angst,
anschließend schlecht zu träumen.
»Morgen - o
nein, das Licht dringt durch die Läden. Es wird schon
hell«, stöhnte Catull. »Nicht morgen also, sondern
heute. Heute beginnen die Feiern zu Ehren der Großen Mutter,
und auf dem Forum wird jemand vernichtet werden.«
»Wie kannst du
dir dessen so sicher sein?«
Er tippte an sein
Ohrläppchen. »Die Götter flüstern manchmal ins
Ohr des Dichters. Heute wird jemand öffentlich vernichtet
werden. Gedemütigt, für immer ruiniert.«
»Du meinst
Marcus Caelius.«
»Tue ich
das?«
»Wen
sonst?«
Er räkelte sich
und gähnte heftig. »Die Dinge können so oder so
laufen. Sogar die Götter werden abwarten
müssen.«
»Was meinst du
damit?« murmelte ich. Danach muß ich eingeschlafen
sein, oder Catull, denn seine Antwort hörte ich nicht
mehr.
VIERTER
TEIL
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NEXUS
24
Nach ein oder zwei
Stunden unruhigen Schlafes schlug ich die Augen auf. Das
Morgenlicht kroch durch die Läden, doch ich glaube, es war
Catulls Schnarchen, das mich geweckt hatte.
Ich kroch in den
Vorraum, weckte Belbo mit einem Tritt und befahl ihm, so schnell er
konnte, nach Hause zu laufen und meine beste Toga zu holen. Er war
zurück, bevor ich mir auch nur das Gesicht gewaschen
hatte.
»Ich nehme an,
jemand hat an der Tür gewartet«, sagte ich, während
er mir beim Ankleiden half.
»Ja,
Herr.«
»Irgendeine
Nachricht von Eco?«
»Nein,
Herr.«
»Gar
nichts?«
»Nichts,
Herr.«
»War deine
Herrin schon auf?«
»Ja,
Herr.«
»Was hatte sie
zu sagen? Irgendeine Nachricht für mich?«
»Nein, Herr. Sie
hat kein Wort gesagt. Aber sie sah -«
»Ja,
Belbo?«
»Sie sah
mißvergnügter aus als gewöhnlich,
Herr.«
»Tatsächlich? Komm,
Belbo, wir müssen uns beeilen, wenn wir den Anfang des
Prozesses nicht verpassen wollen. Wir können unterwegs etwas
essen. Am Feiertag sind bestimmt jede Menge Händler
unterwegs.« Als wir gerade gehen wollten, wankte Catull mit
blutunterlaufenen Augen aus dem Schlafzimmer. Er versicherte mir,
pünklich zu Prozeßbeginn auf dem Forum zu sein, obwohl
ich den Eindruck hatte, daß er dafür erst von den Toten
auferweckt werden mußte.
Belbo und ich trafen
ein, als die Verteidigung gerade mit ihren Reden begann. Da ich
keinen Sklaven vorgeschickt hatte, mir einen Sitzplatz
freizuhalten, fand ich mich am Rand der Menge wieder, die sogar
noch größer war als am Vortag. Ich mußte mich auf
die Zehenspitzen stellen, um überhaupt etwas zu sehen, konnte
jedoch ohne Probleme alles hören. Die geübte Rednerstimme
von Marcus Caelius hallte über den Platz.
Wie am Vortag
Atratinus als jüngster Ankläger mit den Plädoyers
begonnen hatte, so eröffnete jetzt der junge Caelius seine
eigene Verteidigung; und so wie Atratinus sich über den
Charakter des Angeklagten ausgelassen hatte, tat Caelius nun
dasselbe. War dies der moralisch verworfene,
vergnügungssüchtige und durchtriebene junge Mörder,
den die Anklage gezeichnet hatte? An Caelius’ Erscheinung und
Gebaren konnte man dergleichen jedenfalls nicht ablesen. Er trug
eine Toga, die so alt und verblichen war, daß selbst ein
armer Mann sie weggeworfen hätte. Sie mußte aus einer
verstaubten Kiste vom Speicher seines Vaters
stammen.
Seine Art war so
bescheiden wie seine Kleidung schäbig. Der feurige junge
Redner, der für seine Forschheit und seine beißenden
Angriffe berühmt war, sprach an diesem Tag in einer ruhigen,
gemessenen und nachdenklichen Weise, die vor Respekt gegenüber
den Richtern nur so triefte. Er erklärte sich in allen
Anklagepunkten für unschuldig; diese schrecklichen und
falschen Beschuldigungen seien von Menschen erhoben worden,
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