Römischer Lorbeer
drehten.
Warum hatte Bethesda
mich getäuscht? Hätte sie mir je die Wahrheit gesagt,
wenn es allein an ihr gewesen wäre? Natürlich wußte
ich, warum sie geschwiegen hatte. Wie erklärt eine Frau ihrem
Mann, daß sie seinen verehrten alten Mentor unter seinem Dach
und vor seinen Augen vergiftet hat? Aber sie hatte doch einen
Grund. Glaubte sie, daß ich es nicht verstehen würde?
Warum hatte sie mir nie vom Tod ihrer Mutter und den schrecklichen
Dingen erzählt, die ihr widerfahren waren, bevor ich sie
gefunden hatte? Vertraute sie mir selbst nach all den gemeinsamen
Jahren so wenig?
Meine eigenen
Gefühle verwirrten mich kaum weniger. War ich wütend oder
verletzt? Wollte ich Bethesda bestrafen oder sie um Verzeihung
bitten? Ich hatte das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben,
aber ich wußte nicht, was. Man hatte mich zum Narren
gehalten; Bethesda hatte die ganze Zeit über die Wahrheit
gewußt und mich trotzdem bewußt im dunkeln tappen
lassen. Hatte sie meine Torheit belustigt? Hatte sie meine Reaktion
gefürchtet für den Fall, daß ich die Wahrheit
entdeckte? Oder hatte sie einfach geglaubt, daß sie damit
durchkommen würde, es mir zu verschweigen, in der Annahme,
dies sei für alle das einfachste? Sie wußte, daß
mir die Wahrheit kostbar war, und sie hatte sie mir trotzdem
vorenthalten. Deswegen war ich wütend auf sie. Unter meinem
Dach und vor meinen Augen hatte sie einen Mann getötet, den
sie haßte. Ich verstand ihr Motiv, doch das Ausmaß der
Tat entsetzte und erschütterte mich nach wie vor. Vielleicht
hatte sie doch recht gehabt, mir die Wahrheit zu
verschweigen.
Ich begegnete
feiernden Leuten und Händlern, hörte das Toben der
riesigen Menge im Circus Maximus, kam an einem Platz vorbei, wo
für den nächsten Tag eine Bühne aufgebaut wurde,
hörte Tamburine, blickte auf und sah die Gruppe Galloi auf
einem Häuserdach tanzen. Hin und wieder schnappte ich
Gesprächsfetzen auf, die sich auf den Prozeß bezogen
haben müssen:
Der junge Mann ist
also glatt davongekommen… der gerissene Cicero… hatte
ja keine Ahnung, daß diese Frau so zügellos… die
Clodier werden es sich zweimal überlegen, bevor sie so was
noch mal versuchen… alle haben gelacht - du hättest das
Gesicht der Hexe sehen sollen… wen kümmern schon die
Ägypter?… in anderen Ländern werden solche Frauen
gesteinigt… ›Oh, sagte ich Mann ? Ich wollte sagen,
mit dem Bruder, hier verspreche ich mich doch
jedesmal!‹… ›Nicht nur eine Dirne, ja eine
besonders lüsterne, verworfene alte Hure‹… nach
allem, was man über sie hört, sollte wahrscheinlich
wirklich jemand hingehen und das Ungeheuer
vergiften…
Ich ging weiter.
Stunden verstrichen. Es wurde dunkel, die Straßen leerten
sich. Ich ging immer noch weiter. Erst als ich ankam, wußte
ich, wohin ich gewollt hatte.
Die phallische Lampe
über dem Eingang brannte hell und versprach Wärme und
Licht. Ich klopfte an die Tür der geilen Kneipenwirtschaft,
und der Türsteher ließ mich hinein. In der Regel trinke
ich nie mehr als andere und weniger als die meisten. Doch an jenem
Abend war mir danach, mich zu betrinken, und der Sklave, der den
Wein brachte, war mir gerne dabei behilflich.
Der Raum war so laut,
daß ich wieder nur Gesprächsfetzen mitbekam, die sich
ebenfalls vor allem um den Prozeß drehten. Ciceros Witze
wurden wiederholt und obszön ausgeschmückt. Die
Geschichte der Pyxis und ihres Inhalts wurde in zahlreichen
Variationen erzählt, und es gab Streit, welche Version nun die
richtige war. Der Wein inspirierte die Gäste zu kruden
Erkenntnisschüben: »Vielleicht hat Caelius die Nutte
früher gefickt, aber heute war es Cicero!« Man war sich
einig, daß Caelius nur um Haaresbreite davongekommen, Clodia
für immer ruiniert und das Ganze zum Besten ausgegangen war.
Ich saß, trank und unternahm keine besonderen Anstrengungen,
zuzuhören oder nicht zuzuhören. Ich ließ die Worte
der Fremden nach Belieben zu mir durchdringen, und als mein Becher
leer war, ließ ich ihn wieder füllen.
Es muß ziemlich
spät am Abend gewesen sein, als die Tür aufging und eine
größere Gesellschaft hereinplatzte. Die meisten von
ihnen waren jung und für eine Kaschemme wie diese zu modisch
frisiert und zu schick gekleidet. Sie kamen offensichtlich aus
einem anderen, respektableren Lokal. Begrüßungen wurden
gerufen, bevor sich ein allgemeines Gejohle erhob, als die
Gäste Marcus Caelius erkannten. Er nahm die
Beifallsbekundungen lächelnd und winkend entgegen,
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