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Römischer Lorbeer

Römischer Lorbeer

Titel: Römischer Lorbeer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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die
funkelnden Sterne am Firmament. Die Luft war kühl und klar.
Ich studierte die Sternbilder und versuchte mich zur Ablenkung an
sämtliche ihrer lateinischen und griechischen Namen zu
erinnern, die ich als junger Mann in Alexandria gelernt hatte: der
Große Bär, den Homer den Wagen und wieder andere die
Sieben Pflügenden Ochsen genannt hatten; der Kleine Bär,
den manche den Schwanz des Hundes nennen; der Steinbock, der
für manche den Schwanz eines Fisches hat…
    Auch jetzt fühlte
ich mich noch nicht schläfrig. Ich mußte einen
Spaziergang machen. Ein paar Runden um den Brunnen im Atrium waren
kaum genug, meine Ruhelosigkeit abzuschütteln. Ich ging zur
Haustür, entriegelte sie und trat über die Schwelle auf
die eben gepflasterte Straße.
    Nachts ist der Palatin
wahrscheinlich das sicherste Viertel Roms. Als ich noch ein kleiner
Junge war, war es so bunt gemischt gewesen wie jedes andere Viertel
der Stadt auch, mit Reichen und Armen, Patriziern und Plebejern auf
engstem Raum. Doch als das römische Imperium begann, sich
auszudehnen, wurden einige Familien nicht nur wohlhabend, sondern
geradezu phänomenal reich, und der Palatin mit seiner
Nähe zum Forum und seiner Erhebung über die weniger
angenehmen Gerüche eines Tibers und der
überbevölkerten Täler wurde die bevorzugte
Wohngegend der Oberschicht. Im Laufe der Jahre waren alle
Mietskasernen und beengten Mehrfamilienhäuser Block für
Block abgerissen und durch große, von Grünstreifen und
Gärten umgebene Stadthäuser ersetzt worden. Zwischen den
Villen auf dem Palatin gibt es nach wie vor bescheidene
Behausungen, deren Bewohner alles andere als wohlhabend sind (ich
selbst bin der lebende Beweis dafür), doch im großen und
ganzen ist die Gegend heute eine Enklave der Reichen und
Mächtigen. Ich wohne am Südhang, direkt oberhalb des am
Forum gelegenen Hauses der Vestalinnen. In der Nähe meines
Hauses - kaum weiter als einen Bogenschuß entfernt - leben
Roms reichster Mann, Marcus Crassus, und meine alter Patron Cicero,
der im vergangenen September triumphal aus dem politischen Exil
zurückkehrte und emsig mit dem Wiederaufbau seines Hauses
beschäftigt ist, das ein aufgebrachter Mob zwei Jahre zuvor
verwüstet hatte.
    Solche Männer
besitzen jede Menge Leibwächter, und zwar keine
gewöhnlichen Schläger, sondern gut ausgebildete
Gladiatoren; und solche Männer erwarten zumindest in ihrer
unmittelbaren Nachbarschaft Ruhe und Ordnung. Die lärmenden,
betrunkenen Banden von Unruhestiftern, die des Nachts andere
Viertel terrorisieren, wissen genau, daß der Palatin für
sie tabu ist. Vergewaltiger und Diebe begehen ihre Verbrechen an
anderen Orten und an verwundbareren Opfern. Daher sind die
Straßen auf dem Palatin nach Einbruch der Dunkelheit ruhig,
fast menschenleer. Man kann es also durchaus riskieren, an einem
kühlen Winterabend allein einen kurzen Spaziergang zu
unternehmen, ohne um sein Leben fürchten zu
müssen.
    Als ich das
Gegröle näher kommender Betrunkener vernahm, hielt ich es
trotzdem für klüger, mich zu verstecken, bis sie vorbei
waren. Ich drückte mich im Schatten eines Eibenzweigs an eine
Mauer. Ich stand direkt gegenüber eines uralten
dreistöckigen Wohnblocks am Ende meiner Straße. Das
Gebäude war außergewöhnlich stabil gebaut und gut
erhalten, es befand sich im Besitz der Clodier, einer
altehrwürdigen Patrizierfamilie. Es hatte die Sanierung des
Palatins überstanden und war noch immer in Läden im
Erdgeschoß und Wohnungen in den beiden übrigen
Stockwerken eingeteilt. Die gesamte erste Etage war an Marcus
Caelius vermietet, den jungen Mann, der mich ein paar Jahr zuvor in
Ciceros Prestigeduell gegen Catilina verwickelt hatte. Es waren
seine und eine weitere Stimme, die ich jetzt vom östlichen
Ende der Straße näher kommen hörte.
    Ich hielt mich im
Schatten verborgen. Ich hatte von Caelius nichts zu
befürchten, doch mir war nicht nach Gesellschaft, vor allem
nicht nach betrunkener Gesellschaft. Als er und sein Freund
torkelnd näher kamen, sah ich zuerst ihre Schatten wie
spinnenartige, in die Länge gezogene Gespenster im Mondlicht.
Sie hatten einander die Arme um die Schultern gelegt, taumelten
bald hierhin, bald dorthin, lachten und unterhielten sich rufend
und flüsternd. Es war nicht das erste Mal, daß ich
zufällig Zeuge werde, wie Marcus Caelius in diesem Zustand
nach Hause kam. Knapp über dreißig Jahre und
gutaussehend - bemerkenswert attraktiv, um genau zu sein -,
gehörte Caelius zu jener speziellen

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