Römischer Lorbeer
Mannes lebend entkommen bist, wäre es
vielleicht klüger gewesen, Lucceius nicht zu erzählen,
wohin du als nächstes gehen wolltest.« Der Galloi verzog
das Gesicht und schien wieder streitlustig, doch was er sagte, war
durchaus vernünftig.
»Soll ich mich
benehmen wie ein Mann auf der Flucht oder ein Verbrecher?«
empörte sich Dio. »Von Schatten zu Schatten schleichen
in der Hoffnung, daß mich niemand sieht, und beten, daß
die Welt meine Existenz einfach vergißt? Ich habe bereits
diese lächerliche Verkleidung angelegt, um tagsüber aus
dem Haus zu gehen - ist das nicht erniedrigend genug? Ich weigere
mich, vollkommen zu verschwinden. Das würde einen absoluten
Triumph für König Ptolemaios bedeuten. Verstehst du das
nicht? Ich bin alles, was von der Delegation der Einhundert noch
übrig ist, die ausgezogen war, für ihr Volk und ihre neue
Königin zu sprechen. Wenn ich es zulasse, daß ich aus
Angst stumm und unsichtbar werde, hätte ich auch auf meine
Reise nach Rom verzichten können. Dann könnte ich genauso
gut tot sein!«
Bei diesen Worten
zitterte Dio erneut am ganzen Körper und fing wieder an zu
weinen. Ich beobachtete, wie er um Fassung rang. In den vergangenen
Monaten hatte er viel Elend erduldet und unsagbares Leid mit
angesehen, und all seine Mühen hatten ihm nichts als
Verbitterung und Scham eingebracht. Seine Ausdauer nötigte mir
Respekt ab.
»Meister«,
sagte ich, »was genau willst du von mir? Ich kann den Senat
nicht zwingen, eure Forderungen anzuhören. Ich kann Pompeius
nicht davon abbringen, König Ptolemaios zu unterstützen. Ich kann die
Toten nicht zum Leben erwecken und den Verrat, den man an dir
begangen hat, nicht rückgängig machen.«
Ich wartete auf Dios
Antwort, doch er hatte sich noch nicht wieder gefaßt, also
fuhr ich fort. »Vielleicht möchtest du, daß ich
die Wahrheit ergründe, auf daß Gerechtigkeit geschehe.
Deswegen kommen die Menschen normalerweise zu mir. Doch du scheinst
bereits überzeugt, die Wahrheit zu kennen. Ich bin mir nicht
sicher, was dir das nützen wird. Das ist nämlich das
Eigenartige an der Wahrheit - wie sehr man sich auch nach ihr
sehnt, so nutzlos ist sie trotzdem oft. Falls du erwägst,
Ptolemaios des Mordes anzuklagen: Ich bin mir nicht sicher, ob
befreundete Monarchen unter die Jurisdiktion römischer
Gerichte fallen; ich bin mir indes ganz sicher, daß ohne den
Senat gar nichts geht, und wir wissen, daß du dich auf den
nicht stützen kannst. Wenn du daran denkst, Pompeius
anzuklagen, würde ich dir ernsthaft raten, es dir noch einmal
zu überlegen. Sicher hat auch Pompeius Feinde, aber keiner von
ihnen wäre bereit, ihn öffentlich vor Gericht
anzugreifen, egal, wie zwingend die Beweislage auch sein mag.
Pompeius ist viel zu mächtig.«
Ich runzelte die
Stirn. »Vielleicht willst du diesen Publius Asicius wegen
versuchter Vergiftung anklagen. Wenn er Lucceius’ Sklaven
dazu angestiftet hat, hast du vielleicht eine Chance,
vorausgesetzt, Lucceius ist nicht, wie du vermutest, ein Lakai
Pompeius’ und bereit, gegen Asicius auszusagen. Ein solcher
Prozeß könnte durchaus sinnvoll sein. Dieser Publius
Asicius kann nicht allzu bedeutend sein, wenn ich noch nie von ihm
gehört habe, und das heißt, er ist verwundbar. Ein
Prozeß gegen ihn könnte die Aufmerksamkeit auf deine
Sache lenken und Mitgefühl auslösen. Trotzdem
-«
»Nein,
Gordianus«, unterbrach mich Dio. »Ich will keinen
Prozeß. Glaubst du vielleicht, ich erwarte von einem
römischen Gericht Gerechtigkeit? Ich bin nur hergekommen, um
mein Leben zu retten, damit ich meine Mission fortsetzen
kann.«
Ich biß mir auf
die Lippe. »Meister, ich kann dir unter meinem Dach keine
Unterkunft anbieten. Zum einen, weil ich nicht für deine
Sicherheit garantieren kann. Auch wenn ich großes Vertrauen
in meine Haussklaven setze, wäre dieses Haus gegen so
entschlossene Attentäter, wie es deine Feinde offenbar sind,
nicht sicher genug. Und dann ist da die Gefahr für meine
eigene Familie. Ich habe eine Frau, Meister, und eine junge Tochter
-«
»Nein,
Gordianus. Ich bitte dich nicht, auch nur eine einzige Nacht unter
dem Dach deines prachtvollen Hauses zu verbringen. Ich brauche
bloß deine Hilfe, wenn es darum geht zu entscheiden, wem ich
trauen kann und wem nicht. Es heißt, du hättest
Methoden, die Wahrheit zu ergründen. Es heißt, du hast
einen besonderen Sinn dafür. Du sagst, die Wahrheit wäre
oft nutzlos, aber jetzt könnte sie mich vielleicht retten.
Kann ich
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