Römischer Lorbeer
gemieteten Haus im Regierungsviertel
ausrichteten. Dio kannte alle griechischen Denker auswendig. Er
konnte stundenlang über die Gesetze der Wahrnehmung und das
logische Denken dozieren. Gaius gähnte dann meistens und ging
früh zu Bett, doch ich habe ihm manchmal bis zum Morgengrauen
zugehört.«
»Dein Bruder
macht sich nichts aus Philosophie?«
Coponius
lächelte. »Nicht viel. Doch Gaius und Dio haben trotzdem
gemeinsame Interessen gefunden. Ich blieb zurück, wenn die
beiden auf der Suche nach Abenteuern in den Rhakotis-Distrikt
loszogen.« Er sah mich vielsagend an.
»Auf mich hat
Dio nie einen besonders abenteuerlustigen Eindruck
gemacht.«
»Dann kanntest
du ihn nicht so wie ich und ganz bestimmt nicht wie
Gaius.«
»Was soll das
heißen?«
»Dio war um
einiges älter als mein Bruder und ich, doch er hatte noch
immer Gelüste. Ziemlich starke Gelüste sogar. Es machte
ihm Spaß, Gaius die »Geheimnisse von Alexandria«
zu zeigen, wie er es
nannte.«
»›Die
Früchte ernten, bevor sie reif sind‹«, murmelte
ich.
»Was?«
»Etwas, was
jemand anders über Dio gesagt hat.«
»Reife ist eine
Frage des Geschmacks. Bei Dio ging es mehr ums Anstoßen als
ums Ernten der Früchte, würde ich
sagen.«
»Das verstehe
ich nicht.«
Wieder ließ
Coponius seinen katzenartigen Blick auf mir ruhen. »Es gibt
Menschen, für die Dios spezielle Vorliebe ein Charakterfehler
war, Anzeichen für ein Ungleichgewicht seiner
Körpersäfte. Ich selbst war nie ein Sklave meines
Fleisches; mein Leben besteht aus Geistigem, was mir
persönlich ideal erscheint. Bei meiner Lebenshaltung bin ich
oft versucht, die Schwäche anderer Menschen zu verurteilen,
doch bei Freunden verzichte ich auf solche Urteile. Wir müssen
uns vergegenwärtigen, daß Dio dem Blut nach zwar
Grieche, dem Geiste nach jedoch Ägypter war. Diese Menschen
sind weltoffener als wir, erdgebundener, in vielerlei Hinsicht auch
grober und primitiver. Dio war einerseits ein Vorbild an Logik und
Rationalität, andererseits konnte er sich in einen Zustand der
Ekstase jenseits allen Verstandes fallenlassen. Wenn seine Lust
gelegentlich von Handlungen abhängig war, die du oder ich
vielleicht für grausam und exzessiv halten würden
—«
»Ich verstehe
nicht, was du meinst.«
Coponius zuckte die
Schultern. »Welche Rolle spielt das jetzt noch? Der Mann ist
tot. Seine Lehren sowie die Anstrengungen, die er für seine
Landsleute unternommen hat, werden sein Vermächtnis bleiben,
und es gibt nur wenige, die eine solch stolze Hinterlassenschaft
vorweisen können.« Er stand auf und begann langsam im
Zimmer auf und ab zu gehen, wobei er mit der Hand über die
Büsten strich, die entlang der Wand aufgereiht waren.
»Aber du bist gekommen, um über Dios Tod zu reden, nicht
über seinen Lebenswandel. Was willst du wissen,
Gordianus?«
»Ich kenne die
nackten Tatsachen seiner Ermordung - wie jeder. Doch Wasser ist an
der Quelle immer am frischesten. Ich möchte wissen, was du -
oder ein anderes Mitglied deines Haushalts - mir über die
genauen Umstände in jener Nacht sagen
kannst.«
»Laß mich
überlegen…« Er blieb vor einer
Alexanderbüste stehen. »Als Dio an jenem Abend nach
Hause kam, war ich hier im Arbeitszimmer. Ich hatte gerade alleine
zu Abend gegessen und war zum Lesen hierhergekommen. Ich
hörte, wie ein paar Sklavinnen im Flur kicherten. Ich rief sie
und fragte, was so komisch sei. Sie sagten, mein Gast wäre als
Frau verkleidet heimgekommen!«
»Hatte er dieses
Kostüm nicht schon vorher getragen?«
»Offenbar schon,
er war, begleitet vom kleinen Galloi, der ihn ständig besuchte, ein
paarmal aus dem Haus geschlichen, ohne daß ich es bemerkt
hatte. Dio hat sich stets heimlich durchs Haus bewegt. Er blieb auf
seinem Zimmer und hielt die Türe verschlossen. Nicht einmal zu
den Mahlzeiten leistete er mir Gesellschaft. Als er mich bat, ihn
in in meinem Haus aufzunehmen, hatte ich gehofft, wir würden
zivilisierte Unterhaltungen führen wie damals in Alexandria,
würden gemeinsam essen und über Philosophie oder Politik
diskutieren. Seine Distanziertheit hat mich enttäuscht und
auch ein wenig verärgert.«
»Er war ein sehr
ängstlicher Mann.«
»Ja, das wurde
mir auch klar. Deswegen bin ich ihm aus dem Weg gegangen. Wenn er
sich den ganzen Tag in seinem Zimmer verstecken oder, ohne mir
etwas davon zu sagen, aus dem Haus schleichen wollte, hatte ich
nicht vor, ihn darauf anzusprechen. Heute wünschte ich, ich
hätte Vorkehrungen getroffen,
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