Römischer Lorbeer
Schmähungen
hinter uns. Clodia starrte noch immer geradeaus, löste jedoch
langsam ihren Griff um meine Hand. Sie stieß einen kaum
hörbaren Seufzer aus und fuhr zusammen, als eine laute Stimme
von draußen ihren Namen rief.
»Der Chef der
Leibwache«, sagte sie zu mir und bemühte sich um Haltung, bevor
sie den Vorhang zurückzog. Ein Gladiator mit strohfarbenem
Haar und einer krummen Nase trottete neben der Sänfte
her.
»Tut mir
leid«, sagte er. »Kein Grund zur Sorge. Denen haben wir
ordentlich was verpaßt. So ’ne Aktion werden Milos
Männer so bald nicht noch mal versuchen!«
Clodia nickte. Der
Mann grinste und entblößte dabei seine verfaulten
Zähne. Clodia ließ den Vorhang sinken.
Wir nahmen eine
scharfe Wendung nach links, dann gleich wieder nach rechts und
begannen den Aufstieg über die lange steile Rampe hinauf zum
Gipfel des Capitols.
Wir passierten die
heiligsten Monumente, das Auguraculum und den großen
Jupiter-Tempel, und kamen an dem Tarpeischen Felsen auf dem weniger
bebauten Südhang vorbei. Die Sänfte blieb stehen. Clodia
warf ihren Umhang über, und wir stiegen aus der Kabine. Der
Ort war menschenleer; bis auf das Säuseln des Windes war es
vollkommen still.
Am Himmel
kräuselten sich orange- und purpurfarbene Wölkchen vor
einem spektakulären Sonnenuntergang. Der Tiber war wie ein
goldenes Laken, und der ganze westliche Horizont stand in Flammen.
»Siehst du?« sagte Clodia und hüllte sich fester
in ihren Umhang. »Ich wußte, daß es
großartig sein würde!«
Ich stand neben ihr
und betrachtete den Sonnenuntergang. Sie wies auf etwas direkt
unter uns. »Wenn du über die Klippe steil nach unten
siehst, kannst du ein Stück von der Backsteinmauer erkennen,
die die Grabstätte der Claudier einschließt, wo wir eben
waren. Siehst du, dort? Und direkt dahinter der Tempel der Bellona,
von einem meiner Vorfahren auf demselben Stück Land erbaut. Es
war der Appius Claudius, der vor zweihundert Jahren die Etrusker
besiegt hat. Anstatt einen Triumphzug abzuhalten, hat er auf eigene
Kosten einen Tempel erbaut, ihn der Friedensgöttin Bellona
geweiht und dem römischen Volk als sein Denkmal vermacht.
Sulla mochte Bellona besonders gern, mußt du wissen. Ihr
schrieb er seine Siege zu. Ich weiß noch, wie er einmal zu meinem Vater
sagte: ›Dank deinem Vorfahren von mir, wenn du das
nächste Mal mit ihm sprichst, daß er Bellona hier in Rom
eine so prachtvolle Wohnung gebaut hat.«
Sie lächelte,
kehrte dem Sonnenuntergang den Rücken und ging langsam auf die
andere Seite des Hügels hinüber. Uns gegenüber erhob
sich der Palatin mit seinem Dächergewirr. Im Tal zwischen
Palatin und Aventin lag der gewaltige Komplex des Circus Maximus
mit seiner langen Rennstrecke. Clodia wies auf die dahinter
liegende Landschaft. »Dort drüben beginnt die Via Appia,
die bis nach Campanien und weiter führt. Und dort drüben
kreuzt das Aqua Appia die Via Appia und verläuft ein
Stück an der Stadtmauer entlang. Seit dreihundert Jahren wird
Rom durch dieses Aquädukt mit Wasser versorgt, diese Bauwerke
sind das Vermächtnis meiner Familie. Und diese Männer auf
dem Forum wagen es, mich so zu
beschimpfen!«
Eine Weile genoß
sie die Aussicht, bis sie blinzeln mußte, als hätte der
Wind ihr Staub in die Augen geblasen. Sie sah über ihre
Schulter. Einen Steinwurf entfernt stand der südlichste aller
Tempel, die sich auf dem Capitol drängeln. »Ich
muß für einen Moment hineingehen«, sagte sie und
schritt eilig auf die Stufen des Tempels zu. Ich blieb zurück
und fragte mich, ob ich gerade Zeuge eines frommen Wunsches einer
Patrizierin geworden war, ein wenig Weihrauch für ihre
Vorfahren zu verbrennen, oder ob nur eine Frau ihren
plötzlichen Tränenausbruch verbergen wollte.
Die
Sänftenträger erholten sich, die Leibwächter
würfelten. Chrysis war in der verhängten Kabine
sitzengeblieben. Ich schlurfte über den gepflasterten Platz
vor dem Tempel und betrachtete die Steinplatten. Dabei wurde mir
klar, daß es sich um den Tempel der Staatsreligion handelte,
und mir fiel die Inschrift wieder ein, die vor nicht allzu langer
Zeit in die marmorne Brüstung vor dem Gebäude
gemeißelt worden war.
Sie war nicht schwer
zu finden. Im blasser werdenden Licht las ich die gemeißelten
Buchstaben mit einem Gefühl seltsamer Distanz:
PTOLEMAIOS THEOS
PHILOPATOR PHILADELPHOS NEOS
DIONYSOS FREUND UND
VERBÜNDETER DES RÖMISCHEN VOLKES
Am Ende führten
alle Wege wieder zu König Ptolemaios
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