Römischer Lorbeer
zurück. Er war der
eigentliche Auslöser der zurückliegenden Ereignisse: Dios
Reise nach Rom und sein grausamer Tod, die ägyptischen
Machenschaften von Pompeius und Clodius und Teilen des
römischen Senats, der bevorstehende Prozeß gegen Marcus
Caelius. Aber wie sagen die Philosophen: Aus einem einzigen Stamm,
der am Boden noch klar zu erkennen ist, kann ein Gewirr aus
Ästen werden, das immer undurchschaubarer wird, je höher
es wächst.
Ich mußte mich
nicht umsehen, um zu wissen, daß Clodia ihren Tempelbesuch
beendet hatte und leise die Stufen herunterkam. Ich roch ihr
Parfüm.
15
Ich stieg aus Clodias
Sänfte auf die Straße vor meinem Haus, als das letzte
Licht des Tages sich von den Dächern der Häuser in den
Äther verflüchtigte. Die rot-weiß gestreifte
Sänfte setzte ihren Weg fort, das Getrampel von Clodias
Leibwächtern hatte Staub aufgewirbelt, der die leere
dämmrige Straße noch düsterer wirken ließ.
Ich klopfte an meine Tür, doch Belbo war nicht gleich zur
Stelle.
Irgendeine Vorahnung -
ein Wink Fortunas, vermute ich -ließ mich über meine
Schulter blicken.
Auf der anderen
Straßenseite sah ich die Gestalt eines Mannes. Er trug eine
Toga und schien mich zu beobachten. Ich drehte mich um und klopfte
erneut an die Tür. Ich drückte dagegen für den Fall,
daß sie unverriegelt war. Doch das war sie nicht. Ich sah
mich wieder um.
Die Gestalt war in die
Mitte der Straße getreten. In der Dämmerung und inmitten
der Staubwolken konnte ich nur ihre Umrisse erkennen.
Wo war Belbo, wenn man
ihn brauchte? Es ist unnötig, diesen ungeschlachten Kerl
mitzunehmen, hatte Trygonion zu mir gesagt. Jetzt stand ich allein
und unbewaffnet vor meiner eigenen Haustür. Ich klopfte erneut
und wandte mich dann wieder dem Mann zu. Wenn ich schon erstochen
werden sollte, wollte ich meinem Angreifer wenigstens in die Augen
sehen. Vermutlich war der Mann nur ein zufällig
vorbeikommender Fremder, sagte ich mir, während ich
gleichzeitig im Kopf die Liste derer durchging, die meiner
Untersuchung des Mordes an Dio möglicherweise ein Ende setzen
wollten -König Ptolemaios, Pompeius, Marcus Caelius, Clodias
Feind Milo, dessen Bande sie auf dem Forum bedroht hatte allesamt
Männer, die dafür berüchtigt waren, jedes nur
erdenkliche Mittel zur Vernichtung ihrer Gegner
einzusetzen.
Die Gestalt kam mit
langsamen Schritten näher. Sein Gang machte mir Angst. Wenn er
mich kannte, warum kam er dann nicht direkt auf mich zu oder rief
meinen Namen? Wenn er lediglich zufällig vorbeikam, um auf
seinem Weg die Straße zu überqueren, warum ging er dann
so langsam?
Mit einem Mal fiel mir
der Mann wieder ein, der uns in der vergangenen Nacht
nachgeschlichen war, bevor er abrupt kehrtgemacht hatte und in die
Dunkelheit geflohen war.
»Bürger«, sagte
ich mit einer Stimme, die sicherer klang, als ich mich fühlte.
»Kenne ich dich?«
Ein Windstoß
wirbelte den Staub in der Luft auf und zerstreute ihn. Hoch
über der Erde fiel ein letzter Lichtstrahl auf eine Wolke und
tauche die düstere Straße in einen blassen Glanz. Ich
sah kurz das Gesicht des Fremden und dachte: das ist gewiß
kein Mörder. Nicht mit einem solchen
Gesicht…
Trotzdem pochte das
Herz in meiner Brust.
Die Tür
klapperte, und ich hörte, wie drinnen der Riegel beiseite
geschoben wurde. Die Tür schwang auf, und ich wich rasch einen
Schritt zurück, wobei ich mit etwas zusammenstieß, mich
umdrehte und Belbo sah, der mich dümmlich angrinste.
»Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, Herr. Die
Herrin hat darauf bestanden, da ich ihr erst
—«
»Macht nichts,
Belbo. Kennst du diesen Mann?«
»Welchen Mann,
Herr?«
Die Gestalt war
verschwunden, so rasch und endgültig wie der Staub in der
Luft. Ich blickte die Straße hinunter.
»Wer war es,
Herr?«
»Ich weiß
nicht, Belbo. Vielleicht niemand.«
»Niemand?«
»Ein Fremder,
meine ich. Ein Mann, der zufällig vorbeigekommen ist.
Eigentlich niemand.«
Trotzdem ertappte ich
mich am späteren Abend dabei, wie ich mich an das Gesicht des
jungen Mannes zu erinnern versuchte - ein dunkles, hageres Gesicht
mit einem Stoppelbart und bohrendem Blick. Es war ein Gesicht, aus
dem ein schreckliches Unglück sprach, mit einem Ausdruck, wie
man ihn bei Männern einer gefallenen Stadt sieht, benommen vor
Verzweiflung und mit Augen, die vor Hoffnungslosigkeit und
Sehnsucht brennen. Die Erinnerung ließ mich erschaudern. Es
war ein Gesicht, das ich niemals Wiedersehen wollte.
*
Es war Zeit
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