Roemisches Roulette
jetzt später Vormittag und ich wusste, dass die Praxis dann immer brummte. Aber ich wollte seine Stimme hören.
Tina, die Empfangsdame, nahm ab. “Hi Rachel!”, begrüßte sie mich fröhlich. “Wie ist es denn so im schönen Rom?”
Ich drehte meinen Kopf zur Seite und sah mich im Zimmer um. Die Fenster standen offen und eine sanfte Brise fing sich in den Vorhängen. “Wunderschön, danke der Nachfrage. Sag mal, hat Nick gerade sehr viel zu tun?”
“Er ist heute gar nicht da.”
“Wie bitte?”
“Er hat sich frei genommen. Es ist ziemlich warm hier, fast 30 Grad. Er hat irgendwas von Golf erwähnt.”
“Ach so, verstehe.”
Aber Nick spielte überhaupt kein Golf mehr. Zumindest nicht, wenn er nicht unbedingt musste. In Philadelphia war er Mitglied des Highschool-Teams gewesen. Eine prägende Erfahrung, die ihm die Freude an dem Spiel nachhaltig verdorben hatte. Nun ließ er sich nur noch auf ein Spielchen unter Kollegen ein, wenn es die Umstände erforderten.
“Hat sich sonst noch jemand frei genommen?”, hakte ich hoffnungsvoll nach. “Dr. Adler zum Beispiel oder Dr. Simons?”
“Nö”, antwortete Tina so gut gelaunt wie immer.
Ich legte auf, um gleich darauf unsere Privatnummer zu wählen, und bemühte mich, den aufkeimenden Verdacht zu ersticken. Vielleicht hatte Nick das Golfen nur vorgeschoben, um zu Hause an einer Veröffentlichung zu arbeiten. Vielleicht brütete er auch eine Erkältung aus. Nach viermaligem Klingeln begrüßte mich meine eigene Stimme auf dem Anrufbeantworter und bat mich höflich, Namen und Telefonnummer zu hinterlassen. Ich drückte auf die Gabel und wählte Nicks Handynummer. Der Anruf wurde direkt auf seine Mailbox geleitet, als hätte er das Telefon abgeschaltet, um partout nicht erreichbar zu sein.
In meiner Brust machte sich eine bleierne Schwere breit. Ich erhob mich vom Bett und trat an die Balkontür. Ich stieß sie weiter auf, in der Hoffnung, der Anblick der Spanischen Treppe würde mich aufheitern. Doch der orangefarbene Schein der Sonne, die irgendwo über der Stadt unterging, ließ meine Sehnsucht nach Gesellschaft, nach meinem Mann oder zumindest nach dem Mann, den ich einst geheiratet hatte, nur noch größer werden. Die Dämmerung schien Pärchen anzulocken wie umgekehrt das Licht die Motten. Zumindest waren die weißen Marmorstufen mit Verliebten übersät. So weit das Auge reichte, sah ich Menschen, die Händchen hielten oder einander sanft Dinge ins Ohr flüsterten.
Wo war er? Warum nahm er sich an einem Montag frei? Nur zwei Tage nach meiner Abreise? Warum hatte er mir nichts davon erzählt?
Ich musste an die endlosen Gespräche denken, die wir nach seiner Affäre geführt hatten.
Warum, warum, warum?
, hatte ich wieder und wieder gefragt.
Warum hast du das getan?
Nick schüttelte den Kopf. In seinem Blick lagen Schmerz und Ungläubigkeit, als könnte er sein Handeln selbst nicht nachvollziehen. Er sagte, die Affäre sei ein Produkt seiner Langweile gewesen, seiner Sorge über die Teilhaberschaft an der Praxis und über die bevorstehende Aufnahme in den Ausschuss. Zur Ablenkung habe er etwas Neues und Aufregendes gebraucht, und als
sie
ihm in Napa über den Weg lief, habe er das Gefühl gehabt, sie könne ihm genau diese Aufregung bieten – wenn auch nur für den Augenblick. Er schwor, dass ihm in unserer Beziehung nichts fehle. Er sei nicht gelangweilt von
mir
, beteuerte er.
Auf gewisse Weise beruhigte mich seine Erklärung oder besser gesagt: die Unfähigkeit, es erklären zu können. Denn ich wollte nicht, dass mit uns irgendwas von Grund auf nicht stimmte. Ich wollte Napa einfach als riesigen, dummen und impulsiven Fehler verbuchen.
Obwohl ich den Gedanken nicht loswurde, dass er solche Impulse vielleicht gar nicht kontrollieren konnte, hütete ich mich sogar davor, ihn zu fragen, ob er es überhaupt wollte.
Ich schloss die Fenster und legte den Bademantel ab. Dann stellte ich die Dusche an, drehte das warme Wasser weit auf, hüpfte in die Kabine und ließ die Tropfen auf meine Haut prasseln.
Er macht es schon wieder.
Das war alles, was ich denken konnte. Diesmal war es nicht die Amazone aus Napa, sondern irgendein anderes Flittchen. Unglaublich. Wie blasiert war ich eigentlich, zu glauben, er würde mich vermissen. Ich war mir seiner Treue so sicher gewesen, als ich ihm am Flughafen den Rücken zugedreht hatte.
Eine Scheidung konnte Nicks Karriere momentan nicht verkraften. Hatte er mir das in unseren endlosen Therapiesitzungen
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