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Roemisches Roulette

Roemisches Roulette

Titel: Roemisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Caldwell
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erwarte er mich. Als sich unsere Blicke trafen, schien seine Miene zu sagen:
Ach, da bist du ja.
    Einen Moment lang vergaß ich Zeit und Raum. Ich weiß nicht, wie lange wir uns anstarrten. Offenbar zu lange, denn der Ober kam auf mich zu und sagte: “Signora?”
    Ich blieb stumm, sah weiterhin diesen Mann an, der mir fremd und im selben Moment unglaublich vertraut war. Auf der einen Seite war sein Hemdkragen verrutscht, sodass ich die glatte Haut unter seinem Schlüsselbein sehen konnte.
    “Signora?”, wiederholte der Kellner.
    Ich riss mich vom Anblick des Fremden los, spürte jedoch noch immer seinen Blick auf meinem Körper.
    “
Prenotazione per uno”
, brachte ich hervor. “Blakely.” Ich war erleichtert über mein verständliches Italienisch. Auch wenn es nur ein paar Worte waren.
    “
Sì, sì”
, bestätigte der Oberkellner und schaute in sein Reservierungsbuch. “Ihr Tisch ist hier.” Er wies auf einen der Tische vor dem Restaurant. “Bitte.”
    Ich machte einen Schritt, um ihm zu folgen, konnte jedoch nicht anders, als mich noch einmal umzuschauen. Der Mann im Leinenhemd stand immer noch dort. Er sah mich unverwandt an.
    “Ihr Tisch”, hörte ich die Stimme des Kellners hinter mir.
    “Ich muss gehen”, sagte ich zu dem Mann. Wie albern! Erstens stand er einige Meter weit entfernt und zweitens: Wieso erklärte ich mich überhaupt? Wir hatten bisher noch kein Wort gewechselt.
    Verlegen wandte ich mich ab, folgte dem Ober und ließ mich dankbar auf dem für mich zurechtgerückten Stuhl nieder. Dann versteckte ich das Gesicht hinter der großen, in Leder gebundenen Speisekarte.
    Als Vorspeise bestellte ich Büffelmozzarella mit Spargel und zum Hauptgang Steinpilz-Risotto. Während ich auf das Essen wartete, trank ich von dem leichten Weißwein, nahm sein herbes Apfelaroma jedoch kaum war, da mein Blick das Restaurant absuchte. Wohin war er nur gegangen? Aber war das nicht eigentlich egal? Ich leerte das Glas und bestellte rasch ein neues.
    Es dauerte nicht lange, da kam der Mozzarella. Der Käse schmeckte so frisch – er musste am selben Tag zubereitet worden sein. Dennoch musste ich mich zum Genießen zwingen, denn meine Aufmerksamkeit richtete sich mehr auf das gut besuchte Lokal, in dem sich jeder köstlich zu amüsieren schien. Mit Freunden. Mit einem Partner.
    Den dritten Wein bestellte ich, als mein Risotto kam – eine breiige Komposition, bei deren Anblick sich mir irgendwie der Magen umdrehte. Ich schob den Reis von einer Seite des Tellers zur anderen und stellte mir Nick im Bett einer anderen Frau vor. Der nächste Gedanke traf mich wie ein Schlag. Er könnte mit ihr – wer auch immer zum Teufel sie war – in
unserem
Bett liegen. In diesem Augenblick war ich froh, nicht in Chicago zu sein. Ich hätte leicht zu einer dieser Frauen mutieren können, die ihre herumstreunenden Ehemänner mit halbautomatischen Waffen jagten.
    Der Kellner hatte mir gerade die Rechnung gebracht, als der Fremde neben mir erschien.
    “
Ciao”
, sagte er. Seine Stimme war tief und weich.
    “
Ciao”
, erwiderte ich.
    “Wir telefonieren also?”
    Ich blinzelte mehrmals. “Wie bitte?”
    “Ich würde Sie gern anrufen.”
    “Hören Sie, Sie kennen mich doch gar nicht …”
    Er lächelte ein freundliches Lächeln, in dem die Erfahrungen vieler Jahre steckte. Ich schätzte ihn auf Mitte vierzig.
Wie kommt es nur, dass den Italienern das Alter so gut steht?
    “Sind Sie alleine in der Stadt?”, wollte er wissen.
    “Nein, nein. Mit einer Freundin.” Kaum hatte ich das gesagt, wurde mir bewusst, wie albern diese Aussage war.
    “Bitte”, meinte er nur. Wieder war der Kragen seines Hemdes, das, wie ich aus der Nähe sehen konnte, aus einem weichen, vermutlich sehr teuren Leinenstoff gefertigt war, zur Seite gefallen, und er versuchte es zu richten. Seine braunen Finger waren lang und feingliedrig und mit Farbsprenkeln übersäht. Künstlerhände.
    “Sie wissen ja nicht einmal, wo ich wohne”, kokettierte ich nun, und sogleich durchflutete eine warme Welle der Aufregung meinen Bauch.
    “Das stimmt”, bestätigte der Mann. In seinen humorvollen braunen Augen entdeckte ich grüne Flecken. “Wie kann ich Sie erreichen?”
    Ich schüttelte den Kopf und lachte leise. Ich wusste genau, wie gern italienische Männer amerikanische Frauen verführten, die sie für leichte Beute hielten, wenn sie sich auf Europareise befanden. Ich war keine von diesen Frauen, auch wenn der Fremde offenbar vom Gegenteil überzeugt

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