Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
blutig scheuern. Flucht war ausgeschlossen. Hilfe würde nicht kommen. Er fror erbärmlich in seiner durchweichten, viel zu dünnen Priesterrobe. Wohin war sein Angreifer verschwunden? Wollte er seine Gefährten holen? Es war nicht allzu wahrscheinlich, auf einen einsamen Wanderer in dieser Wildnis zu stoßen, sicherlich warteten die Begleiter seines Feindes hier irgendwo. Verzagt gab Janiel seinen sinnlosen Kampf auf und dachte nach. Sein Verstand hatte ihn nie im Stich gelassen, es musste einfach eine Erklärung für all das geben!
Wer war der Mann, der ihn aus dem Nichts angefallen hatte? Ein Krieger mit einem Schwert, der damit umzugehen verstand. Ein starker Mann, es hatte ihm keine Mühe bereitet, sein Opfer zu tragen. Er hatte fließend Roensha gesprochen und wusste offenbar einiges über die Nebelpfade und die Töchter der Pya. Vermutlich hatten die Nebelschwaden ihn auf Janiel aufmerksam gemacht. War er wirklich ein Feind? Oder vielleicht sogar der Mann, den Janiel gesucht hatte? Jemand, der ihn lehren könnte, seine neu entdeckte Macht zu nutzen? Wenn er Hexen kannte, war er bestimmt der Mentor, zu dem der Nebel Janiel führen sollte!
Selbst, wenn er dieses Wissen besitzt, wer sagt, dass er es mit mir teilen will? Möglicherweise kann er mir alle Weisheiten dieser Welt offenbaren, wird mich aber lieber töten, weil er mich für einen Hexenmörder hält!, dachte er ohne Hoffnung. Was bin ich auch wie ein kopfloses Huhn losgerannt? So dumm bin ich sonst nicht, was ist bloß los mit mir?
Die Erschöpfung fraß ihn auf. Am liebsten hätte er sich einfach der Ohnmacht ergeben, doch das wagte er nicht. Wenn sein Feind nicht zurückkehren würde? Sich die Mühe sparte, ihn selbst zu töten, sondern Kälte und Raubtieren die Arbeit überließ? Janiel biss die Zähne zusammen, versuchte, genug Energie zu sammeln, um seine Feuermagie zu wecken. Es wäre nicht viel nötig, ein paar Funken, um diese verdammten Fesseln zu zerstören und sich selbst zu wärmen. Dafür war er allerdings zu schwach.
Nicht aufgeben. Ich ruhe mich kurz aus, einen Moment lang bloß. Kraft sammeln. Ich weigere mich, hier draußen allein zu verrecken!
Zumindest diese Angst musste Janiel nicht lange ertragen. Er hörte keinen Laut, spürte nur plötzlich, dass er nicht mehr allein war.
„Hast du dich entschieden, ob du reden willst, Priester?“, zischte sein Feind hinter ihm. Janiel fuhr zusammen, schockiert, dass sich jemand so dicht ohne sein Wissen an ihn herangeschlichen hatte. War er doch kurz bewusstlos geworden? Er war zum Kämpfer ausgebildet, ein Priester der Sonne!
Der Knebel wurde ihm brutal fortgerissen, lautlos schritt der Fremde an ihm vorbei. Für Janiel war es unvorstellbar, wie ein solch großer Mann durch das aufgeweichte Unterholz laufen konnte, ohne ein Geräusch zu verursachen, aber das war nebensächlich. Sein Feind ließ etwas Schweres zu Boden fallen, fuhrwerkte dicht neben ihm an etwas herum, das Janiel nicht sehen konnte. Angst wühlte in seinem Leib, was machte der Krieger dort? Was wollte der Mann von ihm? Was würde er tun, wenn Janiel ihm nicht die Antworten geben konnte, die er offensichtlich verlangte? Wenn er doch nur nicht so müde wäre …
Eine kleine Flamme lockte seine trudelnde Aufmerksamkeit. Irgendwie hatte der Krieger es geschafft, in einer etwas trockeneren Kuhle, geschützt von dem Baum, ein winziges, rauchendes Feuer zu entfachen.
„Bist du noch wach, Priester?“
Janiel riss den Kopf hoch, als ihn die Ohrfeige traf. Kein harter Schlag, trotzdem erschreckend und bedrohlich.
Helle, intelligente Augen musterten ihn abschätzend. Sein Feind war vermutlich etwas älter als er selbst, eine große Gestalt, von einem Mantel verhüllt, der nur das Gesicht ungeschützt ließ. Ein offenes, markant geschnittenes Gesicht, glatt rasiert. Unter anderen Umständen womöglich ein Mann, dessen Bekanntschaft Janiel genossen hätte. Im Moment wünschte er sich tausend Meilen fort von hier, egal wohin. Unter dem Blick dieses Mannes fühlte er sich nackt und hilflos. Er würde ihm nicht entkommen können. Zitternd vor Angst, Erschöpfung und Kälte versuchte Janiel, ein Stück zurückzuweichen, zuckte zusammen, als stechende Schmerzen durch seine Arme schossen.
„Sprich, Priester. Ich weiß sehr gut, dass du im Moment zu schwach bist, um dich magisch zur Wehr zu setzen. Mir ist völlig bewusst, dass du mich zu einem Haufen Asche verbrennen wirst, wenn ich dir Gelegenheit gebe, dich zu erholen“, grollte der Krieger
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