Roen Orm 3: Kinder des Zwielichts (German Edition)
Orm?“
Erstaunt starrte er sie an und setzte sich ebenfalls hin.
Eiven musterte das zierliche kleine Wesen, dessen Wangen sich leicht rosig färbten. Vielleicht vor Aufregung oder Scham. Offenbar wollte sie sich nicht über ihn lustig machen, aber konnte sie das wirklich ernst meinen, dass sie an seiner Seite reisen wollte?
„Was willst du denn in Roen Orm?“, fragte er schließlich verunsichert, als das Schweigen bedrückend wurde.
„Ich habe dir doch von Thamar erzählt, nicht wahr? Er bewahrt etwas für mich auf, das mir sehr wichtig ist. Es ist ein Bergkristall, ein Geschenk meiner Mutter.“ Sie senkte den Kopf und blickte zur Seite.
„Die einzige Erinnerung an meine Familie“, fügte sie flüsternd hinzu. Eiven schwieg, er verstand sie nur zu gut. Die Lederbänder, mit denen er seine vielen Zöpfe gebunden hatte, stammten alle von seiner Mutter. Für Roya war es nur Abfall gewesen, Misham und seine Freunde wären niemals darauf gekommen, dass sie irgendeinen Wert besitzen könnten. Doch für Eiven war es das Einzige, was er von seiner Mutter mitnehmen konnte und er würde es mit seinem Leben verteidigen.
„Bist du sicher, ob Thamar in der Stadt ist?“, fragte er, um nicht länger an seine Sippe denken zu müssen.
„Nein.“ Sie schluckte hörbar. „Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt. Ich sagte ja, dass wir getrennt wurden. Den ganzen Winter war ich hier zufrieden in diesem Berg, es hat sich richtig angefühlt sich vorzustellen, dass alles so gut ist, wie es nur sein kann. Gewiss ist meine Familie glücklich, die Chyrsk werden sich schon zurückgezogen haben, ganz sicher konnten Thamar und diese beiden Hexen sich retten, und sie führen ein erfülltes Leben, irgendwo. Aber jetzt ist der Winter vorbei, verstehst du?“
Die wunderschönen Perlmuttaugen schimmerten wie kleine Sterne, als sie ihn ansah. Er nickte ihr zu.
„Gewissheit ist besser als Wunschträume, das verstehe ich vollkommen. Ja, du kannst mich gerne begleiten, bloß … Avanya, du musst mich auch verstehen. Alle Loy, denen ich begegnen werde, halten mich für einen Ausgestoßenen und werden versuchen, mich zu töten. Wer immer an meiner Seite reist, befindet sich in höchster Gefahr.“
Zu seinem Erstaunen lächelte sie sanft.
„Eiven, alle Loy, denen ich begegnen werde, halten mich für ein feindliches Geschöpf aus der Zeit der Legenden. Bislang hatte ich Glück, auf freundliche Wesen zu stoßen, doch es ist nur eine Frage der Zeit, wann dieses Glück endet. Alle Menschen sind eine Gefahr für mich, Chyrsk, und sogar Nola. Wer an meiner Seite reist, befindet sich keineswegs in guter Gesellschaft.“ Sie zwinkerte ihm übermütig zu. „Vielleicht sollten wir uns gerade deswegen zusammenschließen? Wir müssen es unseren Feinden nicht unbedingt leicht machen, uns zu töten.“ Sie neigte leicht den Kopf, fixierte ihn plötzlich mit ihren hellen Augen. Nur einen Herzschlag später kniete sie vor ihm. So nah, sie war ihm ganz nah. Viel zu nah! Erschrocken fuhr Eiven ein Stück zurück, niemand kam je so dicht heran, es sei denn, um ihn für etwas zu bestrafen.
Sein Herz schlug wie wild – der letzte, der ihn aus solcher Nähe angesehen hatte, war Misham gewesen, während …
Doch Avanya wirkte weder feindlich noch wütend, sondern starrte lediglich interessiert in sein Gesicht.
„Darf ich?“ Zögernd streckte sie die Hand nach ihm aus, bat mit einem stummen Blick um seine Erlaubnis. Nervös drückte Eiven sich gegen die Felswand, hielt aber still. Sie war nicht Misham. Sie wollte ihm nicht wehtun. Ganz gewiss nicht.
„Also ist es wahr“, murmelte sie und strich über seine Schläfen. Ein eiskalter Schauder rann über Eivens Rücken. Er wandte sich von ihr ab, zutiefst beschämt. Er wollte die Abscheu in ihrem schönen Gesicht nicht sehen, die Ablehnung, die dort gewiss zu finden war.
Endlich weiß sie, wie widerlich ich wirklich bin! Natürlich, jetzt wird sie nicht mehr mit mir gehen wollen. Seltsam, dass sie es vorher nicht bemerkt hat.
„Eiven?“ Sie bog sich mit einer Beweglichkeit herum, die keinem Loy möglich war – allein wegen der Flügel – und blickte ihn von unten her besorgt an.
„Es ist in Ordnung. Ich verstehe, dass du nichts mit mir zu tun haben willst“, presste er hervor.
„Wovon sprichst du?“
Zorn wallte in ihm auf. Musste sie das von ihm verlangen? Musste er es aussprechen?
„Ich bin ein Bastard. Das ist es doch, was du kontrolliert hast, oder?“, murmelte er bitter.
Verständnislos schüttelte
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