Roen Orm 4: Herrscher der Elemente (German Edition)
zurück zu dem Felsen, mit dem Tylen verschmolzen war. Sie spürte die Blicke ihrer Gefährten im Rücken, die Sorge dieser beiden, die sie liebte. Die Tochter Taóns hatte ihnen die gesamten Erinnerungen an alle Leben, die sie jemals geführt hatten, zurückgegeben, und das waren unvorstellbar viele gewesen. So oft waren sie alle drei neu geboren worden und gestorben, ohne die Prophezeiung erfüllen zu können. Eine schwere Last, unter der Pera und Jordre sichtlich zu leiden hatten. Ihr selbst machte es wenig aus. Die Sphärenmusik der göttlichen Geschwister erfüllte ihr Bewusstsein bis in den letzten Winkel, und verdrängte allen Schmerz und Sorgen.
Die Fremde trat wieder aus dem Nebel. Chelsa betrachtete sie aufmerksam, bewunderte die animalischen Kräfte, die in dieser Frau steckten, die Tiefe der Liebe, die sie für alles empfand. Auch sie hatte die Musik der Götter gespürt, das war offensichtlich.
„Nimm diesen Kristall, Chelsa, so, dass du ihn nicht berührst. Er ist nicht für dich bestimmt, sondern für Osmege. Er muss ihn dir gewaltsam entreißen, verstehst du?“, fragte sie. Inani, das war ihr Name, Maondny hatte es gesagt. Sie besaß unvorstellbar große Macht. Chelsa lächelte und nickte. Achtlos steckte sie den Kristall ein, der in ein Stück Stoff gehüllt war, griff nach der Hand der Frau, deren Haut so seltsam schimmerte – nicht blassweiß wie bei einer Elfe, nicht steingrau wie ein Orn, sondern eher goldbraun – und strich über die Flammenschrift, die Inanis Handgelenke verzierte.
„Er wartet auf dich, in der anderen Welt, nicht wahr? Du könntest hier sterben, warum bist du gekommen? Du hast bereits gewonnen, was du besitzen wolltest.“
„Ich bin eine Tochter der Dunkelheit, Chelsa“, erwiderte Inani. „Das bedeutet, dass ich von der Göttin Pya erwählt worden bin. Meine Göttin verlangt, dass ich ihr diene, also gehorche ich. Pyas Werk beschränkt sich nicht auf meine Welt, ich diene ihr heute in Anevy, weil es ihr Wille ist.“
Chelsa nickte und wandte sich Tylen zu, dem Elf, der zu Stein erstarrt leiden musste.
„Lass mich dir nun helfen“, sagte sie. „Ich habe meine Macht von einst zurückerlangt, ich kann dich erlösen.“
„Dann erfährt Osmege, wo du bist! Du kannst mich sowieso nicht befreien, es gibt keine Rettung für mich!“
„Doch. Wenn ich den Felsen zerstöre, wirst du sterben. Danach musst du nicht länger leiden, beobachten, auf ewig gefangen.“
Singend berührte Chelsa das qualerfüllte Steingesicht, ließ sich weder von Jordres Fragen noch von Peras Hand aufhalten. Tylen öffnete sich der göttlichen Melodie, sie genoss, wie er Trost darin fand.
„Greift nicht ein“, hörte sie die Elfe sagen.
Chelsa lenkte die Macht der Erde in den Felsen hinein. „ Leb wohl, Tylen. Mögen die Jenseitswächter gut zu dir sein.“
Sie spürte seine Dankbarkeit, in dem Augenblick, als die Felswand unter ihren Händen zerbrach. Die Explosion ließ Steine auf sie alle herabregnen, aber niemand wurde getroffen.
Stille folgte.
Das Lied war beendet, Tylen befreit. Ihre Gefährten und die beiden Fremden standen inmitten der Trümmer. Dann erhob sich ein alles durchdringender Schrei.
„Osmege weiß, was du getan hast, Chelsa“, sagte die Elfe lächelnd. „Er zerfrisst sich in Angst und Wut.“
„Inani, könntest du uns noch einmal durch den Nebel bringen? Jordre wird dich führen, er weiß am besten, wie man den Dunklen findet.“
Chelsa ergriff Peras Hand, folgte den anderen ohne zu zögern in den Nebel hinein. Es war Zeit, ihrem Schicksal zu begegnen. Der Siegelstein wartete schon zu lange auf seine Zerstörung.
~*~
Inani schreckte zurück vor dem intensiven Hass, der ihnen entgegenschlug, als sie den Nebel verließen. Sie hatte diese steinernen Hallen bereits in Maondnys Gedanken gesehen, eine Festung, geschaffen aus einer Wüste. Ein runder Stein schwebte in der Mitte dieser riesigen Leere. Magische Energien strömten von ihm aus, stark genug, um auf ihrer Haut zu knistern, obwohl sie ein ganzes Stück entfernt stand. Nicht weniger mächtig war die schlafende Kreatur, die neben dem Siegelstein angekettet lag. Ein Drache, wie sie sofort erkannte, obwohl sie niemals zuvor ein solches Wesen mit wachen Augen gesehen hatte. Seine schwarzen Schuppen glänzten in dem unirdischen Licht, das alles hier erhellte. Inani war wie gebannt von diesem Geschöpf, sie konnte sich nicht von seinem majestätischen Anblick losreißen. Der biegsame, einer gewaltigen
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