Roen Orm 4: Herrscher der Elemente (German Edition)
ganzes Volk an Seelen in mir! Wie soll ich die alle zurückweichen lassen?“, kreischte Osmege.
„Das ist nicht meine Schuld“, erwiderte sie mit geziertem Lächeln.
Brüllend vor Hass wollte er sich auf die Pya-Tochter stürzen, doch nun trat Chelsa vor.
„Warum hast du ein ganzes Volk in dich aufgenommen, das dir nichts nutzt, sondern schadet, Osmege?“, fragte sie und betrachtete dabei abschätzig dieses zerschlagene, grauenhafte Geschöpf von oben bis unten.
„Ich muss die Orn schützen. Die Elfen wollten meine Leute auslöschen, begreift das denn niemand?“
„Habe ich die Lügen vorhergesehen, die du mir erzählst, und es nur vergessen, Osmege?“, fragte Chelsa verträumt. „Deine Schwäche? Die Schmerzen? All diese Narben in deinem Gesicht …“ Er stand still, wie erstarrt, als ihre Fingerspitzen über seine Wangen strichen, die gewaltsam verschobenen Knochen ertasteten, sanft über sein wirres Haar streichelte. „Du musst unentwegt leiden, nicht wahr?“, hauchte sie kummervoll. „So viel Schmerz ist in dir, du leidest unter den Qualen, die du selbst den unzähligen verlorenen Seelen bereitest. Warum nur wolltest du sie alle in dir tragen? Warum konntest du nicht aufhören, obwohl du von Anfang an wusstest, dass du dich selbst folterst?“
Eine Erinnerung tauchte in ihr auf, die Erinnerung an eine Blume, deren Duft Weisheit und Erkenntnis schenken konnte.
„Du bräuchtest eine Avendemyl, Osmege, dann würdest du vielleicht verstehen, warum du diesen Weg gegangen bist.“
„Wag es nicht“, wimmerte Osmege, doch er konnte sich nicht von ihr losreißen.
Chelsa summte leise, in sich versunken.
„Ich hab mich in Kaleno umgebracht, genau auf dem Platz der Mitte. Wusstest du das? Direkt neben der Avendemyl, die gerade aufgeblüht war. Ich habe Dinge gesehen … Sie waren nicht für mich gedacht. Ich habe dich sterben sehen, Osmege, als ich mir selbst das Leben nahm. Es war traurig, dein Ende, weißt du?“
Tief unter der Erde, in den Ruinen von Kaleno, erblühte in diesem Moment eine einsame Rose, geschaffen von dem Mitgefühl eines jungen Mädchens mit einer zerstörten Kreatur. Ihre Träume von einer lang vergangenen Zeit wandelte die Blume, und zum ersten Mal seit unzähligen Jahren entfaltete eine Avendemyl ihre Blätter – die verlorene Blume. Niemand war da, um ihre Gabe zu huldigen, aber sie kündete dennoch vom Beginn einer neuen Zeit. Chelsa sah es als Vision vor ihrem inneren Auge. Tränen rannen über ihr Gesicht, sie trauerte um Osmege und all das Leid, das sie verursacht hatte. Sie wusste, was sie getan hatte. Als Kind hatte sie ein strenges Verbot gebrochen. Als Frau hatte sie das Schicksal Anevys besiegelt. Es war Zeit, für diese Taten zu sühnen.
Peras schmerzliches Wimmern riss sie aus ihrer Trance.
„Es ist meine Schuld, nur meine. Meine Schuld, was mit euch geschah, Onme und Ismege. Meine Schuld, dass Jordre und Pera sterben müssen. Vergebt mir! Ich bitte euch, vergebt mir!“, rief sie schluchzend und warf sich neben ihren tödlich verletzten Gefährten zu Boden.
„Vergebt mir!“
„Nicht, Chelsa …“, wisperte Jordre, während aus seiner Brustwunde ungehindert Blut sickerte. Er hielt Peras Hand umklammert, sie beide griffen nach Chelsa. „Es war und ist eine Ehre, für dich zu sterben …“
„Tu es, Chelsa. Beende den Weg. Tu es für uns alle“, flehte Pera leise. Sie küsste Chelsas Hand, dann sank sie in sich zusammen, ohnmächtig oder sterbend.
Osmege stand unbeweglich da, und er weinte, erfüllt von dem Schmerz, der ihn schon viel zu lange zerriss.
Auch Inani weinte, als sie all diesen Leid sah, obwohl sie diese beiden Orn nicht kennenlernen durfte. Ihr Tod war so sinnlos!
„Es dient der Prophezeiung!“, widersprach Marjcheog diesem Gedanken verwirrt.
„Das ist mir gleich. Eine Prophezeiung, die eine ganze Welt zu solchem Elend verdammt, ist grausam. Womöglich wäre Osmege ohne diese Voraussage schon lange zuvor gerichtet worden!“
„Vielleicht hätte es aber auch nichts und niemanden mehr gegeben, der ihn hätte aufhalten können. Das werden wir nie erfahren.“
Sie spürte seine Nachdenklichkeit, wie er behutsam in ihrer Seele suchte, um das Mitgefühl und die Trauer zu begreifen, von dem sie bewegt wurde.
„Jetzt verstehe ich, was Fin Marla tatsächlich meinte“, fauchte er. „Ich stimme zu, Inani. Diese Prophezeiung ist grausam.“
„Chelsa braucht dich. Sie wartet auf dich, Marjcheog“, flüsterte Maondny, die zu
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