Röslein rot
das vierte Paar?«
»Sei nicht so neugierig«, sagte Lucie, »ihr müßt noch ein bißchen abwarten...«
Aha, die bis jetzt fehlenden Gäste waren die angekündigte Überraschung. Wahrscheinlich waren es Leute, die Reinhard kannte: alte Freunde, Klassenkameraden, Verwandte oder sein ehemaliger Chef.
Wir standen noch mit dem Sektglas im Garten herum, als es ein weiteres Mal klingelte. Gespannt drehten sich alle in Richtung Terrassentür. Gottfried führte ein lachendes Paar ins Freie. Es handelte sich um zwei Frauen.
Natürlich beobachtete ich ausschließlich meinen Mann. Kurzfristig schien er zwischen Schreck und Begeisterung zu schwanken, entschied sich dann aber für aufrichtige Freude.
Mit dem Ruf: »Das kann doch nur unser alter Holzwurm sein!« stürzte sich erst die eine, danach die andere in seine Arme.
Reinhard preßte sie an sich, piepste und küßte, und niemand verstand so richtig die Zusammenhänge. Lucie grinste über die allgemeine Verwirrung.
Nach und nach erfuhren wir, daß die beiden Frauen gemeinsam mit Reinhard studiert hatten. Die eine hieß Birgit, die andere Mia. Wir setzten uns schließlich zu Tisch, der stolze Reinhard zwischen die etwa vierzigjährigen Frauen. Ich bekam einen strategisch günstigen Platz ihnen gegenüber; meine Nachbarn, der liebenswürdige Gottfried und der eifrig um mich bemühte Udo, interessierten mich weitaus weniger.
Ob Reinhard es mit beiden oder zumindest einer von ihnen getrieben hatte, das war die Kardinalfrage. Birgit war die Hübschere und Stillere. Gekleidet war sie als bayerischer Winnetou, was sie durch einen blau-weiß gewürfelten Trachtenrock und eine fransige Lederjacke mit türkisen Glasperlen erreichte.
Mia war temperamentvoller und gefiel mir eigentlich besser. Sie hatte sich einen Zimmermannsanzug aus schwarzem Breitcord zugelegt, den sie wie einen Smoking mit einem schneeweißen plissierten Hemd kombinierte. Am Revers prangte eine rosa Nelke. Waren die beiden unverheiratet und auf Männerjagd oder lesbisch? Oder machten sie einen Betriebsausflug, und irgendwo in der Provinz warteten Mann und Kinder? Mit Reinhard sprachen sie von alten und anscheinend lustigen Zeiten. »Was macht eigentlich der Willi?« und ähnlichen Fragen widmeten sie sich ausgiebig.
Wenn mich meine Tischnachbarn ansprachen, vergaß ich fast alle Höflichkeit, so sehr war ich mit intensivem Lauschen beschäftigt.
»Schnarchst du eigentlich immer noch so grauenhaft?« fragte Mia, um gleich darauf zu erläutern, daß sie vor langer Zeit mit etwa zwanzig Freunden eine gemeinsame Nacht in einer Skihütte verbrachte hätten, wo Reinhard als Ruhestörer entlarvt wurde.
Sofort griff Lucie dieses Thema auf und behauptete, schlimmere Töne als ihr harmlos wirkender Gottfried könne Reinhard nicht ausgestoßen haben, selbst wenn er wie ein Hirsch geröhrt habe.
Da war Silvia nicht mehr zu halten. Udo schnarche zwar nie, aber fast wäre ihr das lieber als sein hündisches Schlürfen. Ob er schlafwandele? fragte man interessiert. Nein, Udo greife nachts zur Flasche, er kippe jede Menge Grapefruitsaft hinunter. Er mache zwar kein Licht an, aber das Gluckern schrecke sie aus dem Schlaf.
Kurzfristig waren alle Männer unserer Tafelrunde verstimmt, dann wurde das Thema gewechselt.
Pfeifkonzert
Musikinstrumente aus der Zeit um 1600 kommen den heutigen bereits sehr nahe, wie auf einem Gemälde von Cecco del Caravaggio zu sehen ist. Ein anmutiger Musikant bereitet sich auf ein Konzert vor, packt seine Instrumente aus und nimmt vielleicht kleinere Reparaturen vor. Jedenfalls sitzt der Musiker auf einem lederbespannten Stuhl und hat auf einem massiven Ausziehtisch Saiten-, Blas- und Schlaginstrumente vor sich ausgebreitet. Man erkennt die Teile eines zerlegten Dudelsacks, eine unvollständige Geige ohne Saiten, zusammengerollte Papiere - wohl Notenblätter - und eine bauchige Trinkflasche, die der Künstler auf Reisen mit sich führte.
In seiner zartgliedrigen rechten Hand schwingt er ein unbespanntes Tamburin mit am Rand befestigten Glöckchen, in der linken Faust hält er einen kleinen, nicht sichtbaren Gegenstand, vielleicht eine Schelle. Zwischen den gespitzten Lippen erkennt man ein geheimnisvolles rundes Ding, eine winzige Pfeife oder eine »Nachtigall«, wie sie heute noch auf der Kirmes feilgeboten werden. Staunende Kinder hören das Zwitschern eines Vogels aus menschlichem Mund.
Aber der Jüngling gehört nicht zur abgerissenen Zunft der Bettelmusikanten, seine Kleidung ist
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