Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
höfisch, sein feines, nachdenkliches Gesicht wirkt gedankenverloren. Die Farben seiner Kleidung sind sorgfältig abgestimmt: Eine große schneeweiße Reiherfeder steckt am roten Barett, das Weiß wird an Halskrause und Hemd wieder aufgegriffen, das Rot wiederholt sich im Jackenfutter, das fast kokett herausblitzt. Die zünftige Lederweste korrespondiert wiederum mit dem Holz der Instrumente, mit Tisch und Stuhl.
    Der an Jahren junge Mann hat bereits viel von der Welt, gesehen, seine Augen blicken wissend und ein wenig melancholisch drein. Er hat sowohl Erfolg als auch herbe Kritik erfahren, vielleicht wurden seine Konzerte gelegentlich durch Buh-Rufe unterbrochen, weil das Publikum keine getragenen Weisen, sondern lieber etwas Temperamentvolles hören wollte. Inzwischen ist er auch auf Pfeifkonzerte vorbereitet und reagiert selbst auf derbe Wünsche der Zuhörerschaft mit Gelassenheit.

    Ein wenig schäme ich mich, wenn ich an das Pfeifkonzert denke, mit dem ich höchstpersönlich für die Erniedrigung meines Mannes sorgte.
    Auf jener Einladung meiner Freundin Lucie spitzte ich angestrengt die Ohren, um gleichzeitig mehrere Unterhaltungen mitzubekommen. Da diskutierten auf der einen Tischseite Silvia und Gottfried darüber, ob eine muslimische Frau allein durch das Tragen eines Kopftuchs ihre Identität verliere, da sprachen Lucie und Udo voller Bestürzung über eine bisher liebevolle Mutter, die kürzlich ihre beiden Kinder mit einer Windel erdrosselt hatte, und mir gegenüber saß mein Mann zwischen seinen Freundinnen und konnte ihnen nicht genug Komplimente machen.
    Als Lucie in die Küche ging, um das warmgestellte Hauptgericht aufzutragen, sprang ich rasch auf, um meine Hilfe anzubieten. Ich wollte unbedingt erfahren, wo meine Freundin diese Frauen kennengelernt hatte. Lucie war, da sie sich, mitten in der Endphase ihres kulinarischen Werkes befand, nicht besonders mitteilsam. Angespannt testete sie mit einem Holzstäbchen die Zartheit der gebratenen Wachteln und nickte beifällig.
    »Prrima«, sagte sie zufrieden.
    Ich warf einen Blick auf die mit Speck umwickelten Vögelchen, die auf frischem Blattspinat ruhten.
    Lucie verstreute orangefarbene Kapuzinerblüten über dem Kunstwerk.
    Ein Totenbett, dachte ich.
    »Wo hast du diese Frauen aufgegabelt?« fragte ich. »Die sind doch sicher nicht von hier...«
    Lucie schob die Platte mit den Wachteln in den noch warmen Ofen und begann, den Kartoffelbrei aufzuschlagen. »Birgit wohnt seit ein paar Monaten hier in Weinheim. Ihr Mann ist ständig auf Geschäftsreisen, ihre Tochter studiert in Kanada. In der unfreiwilligen Einsamkeit kam ihr die Erinnerung, daß sie in ihrer Jugend mit Leidenschaft im Schulchor gesungen hat. Wohl um neue Leute kennenzulernen, ist sie in Gottfrieds Chor eingetreten. Zufällig hat er neulich erfahren, daß sie vor hundert Jahren gemeinsam mit Reinhard studiert hat.«
    »Und die andere?« fragte ich.
    Lucie drückte mir eine Schüssel mit Salat in die Hand. »Trag schon mal auf«, befahl sie, »ich komme nach.«
    Ich blieb jedoch wie angewurzelt stehen.
    »Also gut«, sagte Lucie etwas ungeduldig und riß sich die Küchenschürze herunter. »Mia ist Birgits Freundin und gerade zu Besuch hier. Was blieb uns anderes übrig, als beide einzuladen, zumal Birgits Mann schon wieder in China herumreist.«
    »Ist Mia verheiratet?«
    »Weiß nicht genau, wohl eher geschieden.«
    Gemeinsam betraten wir, mit Schüsseln und Platten beladen, die Terrasse und servierten. Wahrscheinlich war das Essen köstlich, denn es wurde von allen Seiten über den grünen Klee gelobt.
    Als das Geplauder etwas erlahmte, weil alle mit Kauen und Schlucken beschäftigt waren, richtete ich erstmals das Wort an die beiden Unbekannten. »Seid ihr selbständige Architektinnen oder arbeitet ihr in einer Firma?« fragte ich.
    Alle Anwesenden schauten neugierig von ihrem Teller hoch.
    Mia antwortete zuerst: »Ich habe auf Innenarchitektin umgesattelt, das hat mir seinerzeit mehr Spaß gemacht. Als Frau kann man besser...«
    Sie wurde von Birgit unterbrochen: »Und ich war blöd genug, das Studium abzubrechen, als ich schwanger wurde. Na ja, mit einem Mann, der keine Zeit zum Babysitten hat, war es auch unmöglich. Ich hätte besser erst Examen machen und dann Mutter werden sollen.«
    Lucie hakte streng nach: »Aber eure Tochter ist doch jetzt erwachsen, da könntest du...«
    Birgit schüttelte den Kopf. »Noch mal mit dem Studium anfangen, das schaffe ich nicht. Aber einen

Weitere Kostenlose Bücher