Röslein rot
Geste die rostige Tür für mich auf: Ich könne mitfahren. Verwirrt stieg ich ein, er strich mir mit hornigen Fingern bewundernd übers Haar. Tedesca? Unsere Unterhaltung fiel aus sprachlichen Gründen spärlich aus, aber immerhin hatte er einen Satz parat: »Du kommen mein Boot.« Ich müsse zur Bank, erklärte ich mit kleinmädchenhafter Bravheit. Dann begleite er mich eben, sagte er. Mir wurde mulmig, und aus purer Ängstlichkeit behauptete ich, meine Kinder warteten im Hotel. Mein Held gab auf, ohne zudringlich zu werden. Vor der Sparkasse verabschiedete er mich mit Grandezza.
Leicht verunsichert tauschte ich tatsächlich einen Euroscheck ein, kaufte für mich eine Korallenkette, für Lara eine aus Vesuvio-Lava. Nun fehlten bloß noch die Mitbringsel für Jost und Ellen, und die artige Familienmutter konnte wieder nach Hause gehen.
Als ich, erschöpft von der brütenden Mittagshitze und dem Gewicht einer Riesentüte duftender Pfirsiche, am Strand anlangte, machte Ellen in Gegenwart der Kinder eine anzügliche Bemerkung: »War wohl eine anstrengende Affäre...«
Kaum hatten wir uns zur Siesta zurückgezogen, horchte sie mich aus.
»Ich wurde im Auto mitgenommen...«, stotterte ich.
Meine Schwester war ganz Ohr.
»Mit einem Ferrari«, sagte ich, »zu einer Jacht, dort gab es Hummer und dann...«
Wie leicht kann man einen Menschen glücklich machen. Ellen war Feuer und Flamme. »Wann seht ihr euch wieder?«
»Nie mehr«, sagte ich mit Tränen in den Augen, »es war sein letzter Tag. In Paris erwartet ihn seine krebskranke Frau.«
Ellen umarmte mich mitfühlend. »Morgen versuchst du dein Glück aufs neue«, empfahl sie.
Die Kinder hielten keine Siesta, sondern lungerten in der Küche herum. Das Personal hatte einen Narren an ihnen gefressen. Als ich gerade meine Mittagspause beenden wollte, stürmten sie, ohne anzuklopfen, in unser Zimmer. Lara hielt Ellen eine junge Katze unter die Nase. »Hat mir Luigi geschenkt!« rief sie.
»Raus!« brüllte ich. Ellen hielt mich für übergeschnappt, aber die Kinder gehorchten.
Natürlich war ich ihr eine Erklärung schuldig. »In Deutschland gibt es 5,6 Millionen Katzen und etwa 3 Millionen Katzenallergiker. Obwohl ich nie eine Katze besessen habe, gehöre ich dazu. Es geht los mit leichtem Jucken in der Nase, tränenden Augen, Niesreiz. Wenn es schlimm wird, kommt es zu asthmatischen Anfällen, die lebensbedrohlich werden können. Wegen der Nebeneffekte rät man mir von einer Desensibilisierung ab.«
»Und was machen wir nun mit der Mieze?« fragte Ellen. Lara würde sie unverzüglich zurückgeben müssen.
Doch dann kam mir die Natur zu Hilfe: Das Kätzchen hatte Flöhe, und die Begeisterung der Kinder ließ nach dem ersten Biß deutlich nach.
Obwohl ich es für taktlos hielt, fragte ich Ellen, warum sie selbst nie schwanger geworden sei.
»Das wollte unser gemeinsamer Vater auch wissen, und dabei machte er das gleiche verlegene Gesicht wie du«, sagte Ellen. »Am guten Willen lag es nicht; ich war auch bei verschiedenen Ärzten. Es hat nun mal nicht geklappt.«
Der Gedanke drängte sich mir auf, daß meine eigene Existenz durch Ellens Kinderlosigkeit zustande gekommen war, denn wenn unser Papa beizeiten Großvater eines Knaben geworden wäre, hätte er nicht versucht, noch einen späten Thronfolger zu zeugen. »Und wäre Malte am Leben geblieben«, sagte ich zu ihr, »dann gäbe es keine Annerose.«
Meine Schwester lachte. »Mein Gott, global gesehen werden zwar die wenigsten Kinder geplant, trotzdem aber geliebt. Im Gegensatz zu ihnen wurdest du bewußt gezeugt. Ich hatte übrigens nie das Gefühl, daß unser gemeinsamer Vater mich ablehnte, obwohl ich auch nur eine Tochter bin.«
»Du warst sein erster Versuch, ich sein letzter.«
Später steckten Ellen und die römische Gräfin die Köpfe zusammen und tuschelten. Als sie mich entdeckten, verstummten sie abrupt und setzten mit einer Wetterplauderei wieder ein.
Die Kinder schrieben Postkarten an ihre Freunde, an Reinhard, an meine Mutter. Ich fügte nichts hinzu, sondern unterzeichnete mit kleinen Symbolen: für Reinhard mit einer geknickten Rose, für Mutter mit einem Mäuschen. Die Kinder waren amüsiert. »Weißt du, Ellen«, sagte Jost - der sich die »Tante« in der Anrede bereits schenkte -, »daß unsere Oma meine Mutter >Mäuschen< nennt?«
Lara, Ellen und Jost lachten herzlich. Ich hatte das Gefühl, daß sie auch ohne mich ganz gut auskamen, und machte mich erneut auf den Weg zum
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