Röslein rot
Wann wurde diese Gewohnheit aufgegeben?
Ohne den sanften Schein der Kerze hätte dieses Gemälde nicht die intim-geheimnisvolle, mitternächtliche Ausstrahlung. Der Hintergrund ist in Dunkelheit getaucht, nur der Wein schimmert golden im Glas, nur das Eigelb und die flackernde Kerze sind Lichtpunkte in der dichten Geschlossenheit der Komposition. Rötlichbraun erscheinen der glasierte Krug, Holz, Kerze und Brot, silbrig die Metalle, golden das Licht. Die Farben des Tages - Weiß, Blau, Grün, Rot - sind verschwunden.
Als wir durch Ischias Abgase in einem offenen Mini-Taxi zum Hotel fuhren, überwältigten mich die Farben des Südens. Korallenbäume, Hibiskus, Bougainvilleen, Hecken voll weißer Rosen brachten mich auf andere Gedanken. Störend waren nur die deutschen Touristen. Mußten alle sechzigjährigen Männer Shorts, Sandalen, hochgezogene weiße Socken, Bubihütchen tragen und eine Videokamera vorm Bauch haben? Meine Kinder jubelten, als sie in das warme Thermalwasser des Hotelschwimmbads sprangen, während ich die Koffer auspackte. Wohl wegen der hohen Luftfeuchtigkeit strömten Schubladen und Schränke einen muffigen Geruch aus, der mich an eine Totengruft erinnerte.
Schließlich lagen Ellen und ich ebenfalls am Pool und sahen den unermüdlichen Kindern zu. Ich ahnte es bereits, als ich die ersten Hotelgäste von ihren Ausflügen oder einer ausgedehnten Siesta zurückkommen sah, daß Josts Kopfsprünge und das permanente Gespritze von Lara nicht zur Völkerverständigung beitragen würden. Abgesehen von meinen Kindern war ich bei weitem die Jüngste in dieser Runde.
Ellen winkte den nuschelnden Kellner, der wie ein italienischer Hans Moser herumwieselte, an ihren Liegestuhl und bestellte Cappuccino für uns beide. »Was wollt ihr?« brüllte sie den Kindern zu, die sich für einen Eisbecher eine Weile aus dem Wasser locken ließen. Von nun an gedachte ich, sie lieber im Meer planschen zu lassen.
Ellen verriet mir, daß frühmorgens in dem menschenleeren Becken die Massagedüsen angestellt würden. Sie lasse bereits vor dem Frühstück den heilbringenden Strahl lustvoll auf Nacken und Rücken plätschern.
Nach dem Abendessen rief Lara zu Hause an, da sie es dem Papa versprochen habe. Es meldete sich niemand. Ich wußte viele mögliche Gründe zu nennen; den schlimmsten verschwieg ich tunlichst.
Die Kinder lagen früh in den Betten, erschossen nach einer dreistündigen Wasserschlacht. Wir saßen bei einem Glas Wein beisammen.
Der Geschäftsführer küßte Ellen und mir die Hand und fragte in flüssigem Deutsch nach unseren Wünschen. So bald wie möglich zwei Einzelzimmer, verlangte Ellen, wir seien schließlich kein Ehepaar. Bald, bald, beschied er uns und hatte einen ebenso blumigen wie undurchsichtigen Trost bereit: »Haben Sie Geduld, vor allem aber: Haben Sie Vertrauen!«
Da zischelte Ellen mir plötzlich zu: »Sieh mal, die Gräfin hat ihren Auftritt. Sie kommt jedes Jahr aus Rom, trägt zum Schwimmen eine große Sonnenbrille und eine Greta-Garbo-Bademütze und zitiert beim Lustwandeln Les fleurs du mal.«
Ich äugte hinüber und sah eine etwa siebzigjährige hagere Dame in silbrigen Leinenschuhen und violettem Gewand, die sich vor aller Augen yogaartig streckte und reckte.
Als sie meiner Schwester ansichtig wurde, näherte sie sich hoheitsvoll und begrüßte sie mit gemessener Wiedersehensfreude. Aus der Nähe erriet ich, daß die Gräfin nicht zum ersten Mal geliftet worden war.
»Wir hatten letztes Jahr ein paar kleine Differenzen«, plauderte Ellen, »weil wir uns beide auf den gleichen jungen Mann gestürzt haben...«
Ich starrte Ellen an. Jetzt erst fiel mir auf, daß sie sich zum Essen ein Kleid mit tiefem Ausschnitt angezogen hatte, während ich immer noch das Sackkleid trug. Was war meine Schwester für eine merkwürdige Frau! Sie strich sich die noch feuchten langen grauen Haare zurück, sah das Befremden in meinen Augen und kommentierte amüsiert: »Es war der Masseur.«
Ich beschloß, von nun an jeden Abend mein schwarz-grundiges Röschenkleid anzuziehen.
Am nächsten Morgen nahmen wir das Frühstück auf der Terrasse ein und hatten Probleme, das Cellophanpapier von den Käse-Scheibletten abzulösen, die durch die Wärme eine intensive Klebrigkeit angenommen hatten. Frische Tomaten und Mozzarella wären mir lieber gewesen; die gummiartigen Scheiben waren ein Zugeständnis an den deutschen Gaumen. Dafür konnten wir uns am zauberhaften Blick auf Meer, Hafen und Leuchtturm
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