Röslein rot
erfreuen.
Zu Fuß starteten wir schließlich nach Porto, allerdings auf einer belebten Straße. Ellen wollte uns ihr Ferienparadies zeigen. Es war ihr gelungen, das Interesse der Kinder für das Castello Aragonese zu wecken; glücklicherweise konnte man mit einem Lift hinauffahren. In einer leeren kleinen Kapelle, die durch ihre weiße Strenge sehr edel wirkte, sang sie mit Lara zusammen ein paar Echotöne. Endlich betraten wir den spektakulären unterirdischen Friedhof, auf den alle so versessen waren. Früher fanden die toten Nonnen ihre letzte Ruhe auf steinernen Stühlen mit einem Loch in der Mitte.
»Sieht wie ein Klo aus«, kommentierte Jost.
Während der langsamen Verwesung rutschten die Leiber gemächlich in die Tiefe; direkt daneben mußten die Mitschwestern ihre täglichen Gebete verrichten, im steten Gedenken an den eigenen Tod. Meinem sensationslüsternen Nachwuchs gruselte es.
Die kinder- und enkellose Ellen lotste uns schließlich in einen Touristenladen, wo es Taucherbrillen, Schwimmflossen und Kescher zu kaufen gab. Sie erfüllte alle Wünsche.
»Jetzt müssen wir aber den Papa anrufen«, beharrte Lara, »sonst vergesse ich am Ende, was ich ihm erzählen will.«
In Ponte aßen wir noch fritto misto mit Salat und fuhren schließlich mit dem Taxi zurück. Die Siesta sei ihr heilig, sagte Ellen.
Im Hotel rief Lara sofort zu Hause und im Büro an, niemand meldete sich, auch der Anrufbeantworter war nicht angestellt. Was hatte das zu bedeuten? Ich legte mich zwar aufs Bett, das mit frischem kühlem Leinen bezogen war, tat aber kein Auge zu. Ellen schnarchte nach drei Minuten, mir wollte Reinhard nicht aus dem Sinn.
Aber als wir am frühen Abend vom Strand zurückkamen, hatte Lara Erfolg. Offensichtlich war Reinhard am Leben, denn sie quasselte unentwegt auf ihn ein - Cockpit, Strand, Nonnen, grünes Pistazieneis, Taucherbrille -, sie hörte gar nicht auf. Ich nahm ihr schließlich den Hörer aus der Hand, weil ich es nicht mehr aushalten konnte. »Gibt es irgend etwas Besonderes?« fragte ich.
»Was soll's schon geben außer einem Haufen Arbeit«, behauptete Reinhard und legte auf.
Anscheinend hatte die Glaskugel versagt.
Das Abendessen - vitello tonnato - schmeckte mir über alle Maßen. Die Kellner, nur kränkliche Nörgler gewohnt, schäkerten mit den übermütigen Kindern, nannten sie signorina und signorino und servierten ihnen doppelte Eisportionen. Nach aller Anspannung konnte ich mich endlich gehenlassen, trank nach Herzenslust, lachte und prostete der großartigen Ellen zu, die uns diese schönen Ferien spendiert hatte. Erst als ich um Mitternacht neben ihr im stickigen Zimmer lag, kam die alte Angst zurück: Reinhard war zwar zum Glück nicht tot, aber er schlief bestimmt mit einer anderen. Und ich Närrin hatte ihm für drei Wochen freie Bahn gegeben.
Ellen knipste plötzlich das Licht an und fragte: »Warum kannst du nicht schlafen?«
Ich heulte los. »Mein Mann betrügt mich.«
Ob ich es nur vermute oder Beweise habe?
Ich antwortete nicht, sondern schneuzte mich.
Ellen spielte die Therapeutin. »Such dir einen hübschen jungen Lover«, empfahl sie, »das ist das einzige, was hilft.«
»Jetzt? Hier?«
»Wo sonst? Wenn du meinst, daß die Kinder ein Hinderungsgrund sind, die kann ich dir vom Leib halten. Und nun mach die Äuglein zu, morgen wird ein schöner Tag.«
Ellen setzte ihren Vorsatz unverzüglich in die Tat um. Sie manipulierte die Kinder mit dem Geschick einer erfahrenen Pädagogin: Ich müsse in die Stadt, um auf der Bank Geld zu wechseln, das sei eine zeitraubende und langweilige Angelegenheit. Jost und Lara folgten ihr bereitwillig an den Strand.
Nun sollte ich mir also in aller Eile jemanden anlachen. An der Bushaltestelle wartete ich mit anderen Touristen und musterte sorgenvoll jeden allein herumstehenden Mann. Viele waren es nicht, bis eine ganze Gruppe unternehmungslustiger Rentner herbeischlenderte. Auf ihren Stofftaschen las ich »Ökumenischer Reisedienst« und machte mir wenig Hoffnung. Ein Blinder mit Stock schien ebenfalls Urlaub zu machen; was konnte er von der Schönheit dieser paradiesischen Insel und meinen blonden Strähnen wahrnehmen? Direkt neben mir stand ein pickliger dicker Mann mit nacktem Oberkörper; da der Bus übervoll zu werden drohte, würde er mit allen Nachbarn in engen Körperkontakt kommen. Ich beschloß, zu Fuß zu gehen.
Plötzlich hielt ein scheppernder Wagen vor mir. Ein gebräunter Bauer oder Fischer riß mit einladender
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