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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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geschliffen. Wir fügten sie unserem Arrangement hinzu.
    Von einem Ausflug nach Forio brachte mir Ellen anderntags ein Gegengeschenk mit, einen erotischen Kupferstich nach einem pompejanischen Motiv: Zentaur umarmt Nymphe. »Häng es dir übers Bett«, empfahl sie, »und nimm den heiligen Joseph von der Wand!«
    Wir sahen uns an und lachten beide. Zwei Faulenzerwochen, Sonne, Meer und gutes Essen hatten mich dem Image einer sinnenfrohe Nymphe ein Stück nähergebracht.
    In dieser letzten Woche wurde Lara, die bisher die gute Laune in Person gewesen war, unruhig und zankte sich dauernd mit ihrem Bruder. »Schaff dich mal vom Acker«, hörte ich sie sagen.
    Jost, der - als einziges männliches Wesen in unserer Runde - öfters den starken Mann markierte, freundete sich mit fremden Kindern an.
    Ich beobachtete, wie ein Mann mittleren Alters einigen halbwüchsigen Knaben das Kraulen beibrachte. Als Jost in eine Glasscherbe getreten war, geleitete er den humpelnden Patienten zu unserem Stützpunkt. Für die Erste Hilfe hatte ich nur Aquarellpapier in der Tasche.
    Der Fremde, der sich artig als Rüdiger Pentmann vorstellte, lieh den Verbandskasten eines Eisbudenbesitzers aus. Beim Anblick des eigenen Blutes wurde Jost bleich, und dann sollte er auch noch nicht ins Meer dürfen!
    Rüdiger Pentmann hatte Erbarmen. »Was hältst du von einer Runde Poker?« schlug er vor. »Ich habe Karten dabei. Das lernt ihr ganz fix, denn deine Schwester will sicher mitmachen.«

    In einer Pause kam Lara zu mir gelaufen. »Rüdiger ist echt cool«, sagte sie. »Der kann voll gut ein Pokerface machen.« Zwar empfahl ich meiner Tochter, einen Fremden nicht gleich mit dem Vornamen anzureden, malte aber zufrieden weiter, ohne zu ahnen, daß er in den nächsten Tagen ein anderes Spiel beginnen würde.

    Später erfuhren wir, daß Rüdiger Pentmann Versicherungsmathematiker aus Hannover war. Es war sein erster Urlaubstag, im Gegensatz zu uns konnte er noch keine gebräunte Haut vorweisen. Leider gefalle ihm das Hotel, in dem er vorläufig abgestiegen sei, ganz und gar nicht. Eventuell fahre er weiter nach Capri und suche sich dort eine Bleibe.
    »Unser Hotel ist Klasse«, sagte Jost. »Vielleicht haben sie hier noch ein Zimmer frei!«
    Ellen pflichtete ihm sofort bei.
    Rüdiger beschloß also, mit uns zu essen und sich bei dieser Gelegenheit das Haus anzusehen. Er kam, aß und blieb.
    Ellen fing sofort an zu spekulieren. »Es ist klar, daß er bloß deinetwegen bleibt«, sagte sie. »Auf die olle Gräfin wird er's schwerlich abgesehen haben. Hast du's gemerkt? Er trägt keinen Ehering! Aber das ist sekundär, Hauptsache, er hat im Moment keine Frau dabei. Findest du nicht auch, daß er gut aussieht?«
    Doch, er sah gut aus und hatte ausgezeichnete Manieren, er war nett zu den Kindern und niemals aufdringlich. Vielleicht ein bißchen schüchtern, dachte ich, aber das war mir lieber als Angeberei.
    Als uns Jost das »Du« förmlich aufdrängte, wurde Rüdiger beinahe rot. Wir erlebten ihn als gebildeten Feingeist, der ein wenig Italienisch sprach, viel gelesen hatte und halb Europa kannte. Ellen fragte ihn vorsichtig aus. Er wiederum schien von den Kindern bereits zu wissen, daß sie einen Vater hatten, der nicht ständig getrennt von der Familie lebte.
    Undenkbar, daß ein attraktiver Mann von etwa vierundvierzig Jahren ledig war, keine Familie besaß, keine Freundin. Entweder war er frisch geschieden, oder er hatte eine entsprechende Trennung hinter sich. Andererseits benahm er sich nicht wie ein Junggeselle auf Brautschau. Es gab genug Frauen, die nicht mit einer grauhaarigen Schwester und zwei Kindern am Strand saßen; es gab auch Hotels, in denen jüngeres Publikum überwog. Lara fragte ihn ungeniert: »Hast du keine Kinder?«
    Nein, hatte er leider nicht.
    Von da an ging es an unserem Tisch immer heiterer zu. Lara und Jost fühlten sich ernst genommen und wollten gefallen, ich blühte ein wenig auf, Ellen war begeistert. Wir verbrachten alle fünf den lieben langen Tag miteinander.
    »Dieser Mann braucht unbedingt eine Familie«, sagte Ellen. »Er hat ein angeborenes Talent, mit Kindern umzugehen. Schade, daß wir ihn nicht schon am ersten Tag kennengelernt haben.«

    Schüchternen Männern muß man mitunter einen kleinen Schubs geben. Beim Frühstück log ich: »In Lacco Ameno habe ich eine Handtasche gesehen, die mir nicht aus dem Kopf will. Wer mag mitkommen?«
    »Ich«, sagte Lara, aber Ellen schaltete sich diplomatisch ein. »Kinder, ich

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