Röslein rot
sagte Jost. »Ich habe bloß Frankreich, Dänemark, Holland und die Schweiz, Kai hat viel mehr - Amerika und Israel und noch was.«
Abends lief er seinem Vater entgegen, um ihm die gute Botschaft als erster zu überbringen. »Papa, letztes Jahr warst du auch nicht mit, weil du die Schule renoviert hast! Bist du traurig, weil es wieder nicht geht?«
Papa gab natürlich nicht zu, daß er sich freute, sondern erklärte sich bereit, uns am kommenden Sonntag nach Frankfurt zu fahren.
Ellen rief noch fünfmal an; durch gute Beziehungen habe sie in ihrem Stammhotel ein Doppelzimmer für die Kinder ergattert, ich müsse allerdings in der ersten Woche mit ihr zusammenwohnen.
Ich dankte meiner Schwester und begann zu packen. Aber mit meinen Gedanken war ich bei der Feuerkugel.
Es gelang mir tatsächlich, am Vorabend der Reise kurz zu verschwinden. Ich behauptete, von Lucie Reiselektüre ausleihen zu wollen. In Reinhards Büro plazierte ich dann die Zeitbombe: das aufgeschlagene Album auf den Aktenschrank, und mitten darauf die Glaskugel. Laut Wetterbericht würde am nächsten Tag die Sonne herniederbrennen. Bräunliche Senglöcher sollten Birgit die Freude am Betrachten des Albums vergällen. Außerdem würde sie Reinhard dafür verantwortlich machen.
Feuer und Flamme
Reinhard ließ es sich nicht nehmen, das Auto in der Tiefgarage zu parken und unsere Koffer bis zum Schalter der ALITALIA zu tragen, wo ich mich mit Ellen verabredet hatte. Er begrüßte sie ein wenig befangen. Sicher erwartete seine Schwägerin, daß er sich mit einem Küßchen von mir verabschiedete. Er tat ihr nicht den Gefallen, umarmte Lara demonstrativ und strich Jost übers Haar.
Auf dem Flug nach Neapel verhielten sich die Kinder vorbildlich und wurden zur Belohnung von der Stewardeß zum Kapitän geleitet, um einen Blick ins Cockpit zu werfen. Eine Auszeichnung, die sie hoch befriedigte. Ich sah dauernd auf die Uhr. Um neun waren wir losgefahren, um elf war die Maschine gestartet, und die Sonne stand nun bald im Zenit.
Um zwölf Uhr bekam ich eine Panikattacke. Ich sah den gesamten Wohnkomplex um Reinhards Büro in Flammen stehen, hörte die Sirenen der Krankenwagen. Warum hatte ich nicht daran gedacht, daß Reinhard und Birgit derart beschäftigt auf dem Ledersofa lagen, daß sie den Schwelbrand überhaupt nicht rochen? Jetzt war es zu spät, beide konnten nur noch verkohlt aus dem Flammenmeer geborgen werden, von den unschuldigen Nachbarn ganz zu schweigen.
Das ungewohnte Mittagessen auf dem Plastiktablett lenkte mich ab, das Gläschen Rotwein beruhigte. Warum sollte Reinhard am Sonntag sein Büro betreten, wo er doch den ganzen Tag mit Birgit bei uns oder ihr zu Hause verbringen konnte? Sicher saßen sie bei einem späten Sektfrühstück in unserem Garten und legten sich hinterher aufs Ohr oder aufeinander. Die Vorstellung einer fremden Frau in meinem Bett verursachte mir Brechreiz, ich stand auf und verließ meinen Platz. Ellens besorgter Blick begleitete mich. Wie schön könnte diese Urlaubsreise werden, dachte ich, wenn ich Vertrauen zu meinem Mann haben könnte.
Es gibt zerstörerische und wärmende Flammen. Ein Haus ohne Heizung, eine Küche ohne Herd sind in unseren Breitengraden undenkbar, doch alles untersteht strengen Kontrollen. Auch die Flamme der Leidenschaft kann ein Paar zusammenhalten oder auseinanderbringen, aber kein technischer Überwachungsverein fühlt sich dafür zuständig.
Eine Kerze brennt friedlich auf Gottfried von Wedigs Stilleben und beleuchtet ein frugales Mahl. Was aß man zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts zu Abend? Brot und ein Ei, dazu ein Krug Wasser und ein Gläschen Wein, nicht gerade ein Festessen.
Sicherlich kann man sich ausführlich über den christlichen Symbolgehalt von Wasser, Wein, Licht und Brot auslassen, aber mich interessiert das Ei. Auf dem runden, fast modern anmutenden Holzbrettchen liegen die in längliche Stücke geschnittenen Brotstreifen und ein Messer. Eine ähnliche Jause könnte man sich auch heute - bereits im Morgenrock - zu später Stunde vor den Fernseher tragen. Aber das barocke Ei steht nicht etwa, wie wir es seit Generationen gewohnt sind, aufrecht in einem Eierbecher, sondern liegt in einem eigens dafür konstruierten Zinnschälchen. Nicht am Nordpol wurde es aufgeklopft, sondern mitten am Äquator hat der nächtliche Hungerleider mit dem Messer ein breites Loch gebrochen. Die Brotstreifen konnten in das flüssige Eigelb eingetaucht und genußvoll verzehrt werden.
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