Röslein rot
Strand, schalt gelegentlich die Kinder, wenn sie allzu frech wurden, brütete häufig über finsteren Plänen. Mit meiner Jugend war es vorbei, diesen Zustand der ersten Liebe würde ich nie mehr erleben, falls ich ihn je gekannt hatte.
Die Bewohner von Ischia unterschieden sich von den italienischen Festlandtouristen durch Zurückhaltung und Eigenwilligkeit; die Männer taugten nicht zum Papagallo. Mein Maler Paolo gehörte ebenfalls zu den scheuen Individualisten; ich dachte noch häufig mit Wehmut an ihn.
Viele Touristinnen aus dem Norden angelten sich ganz bewußt einen Latin Lover. Es war mir mitunter peinlich, wie bereitwillig sie sich anmachen ließen, wie provozierend sich selbst ältere Jahrgänge entblößten. Da waren mir die südländischen Matronen in ihren schwarzen Röcken lieber, eher wollte ich zu ihnen als zu den erlebnishungrigen, auf jung getrimmten Fünfzigjährigen gehören. Die wiederum schienen mich für dumm zu halten. Ich empfand es als lästig, ständig einen Bewunderer meiner blonden Haare abwimmeln zu müssen.
Der Italiener Gabriele Salci hat 1716 auf einem Papageienbild alle Sinnenfreuden verschlüsselt dargestellt. Nur eine Frau konnte den Tisch so lasziv gedeckt haben: Auf blauem Seidengrund dient ein hauchfeines Batisttüchlein mit duftigem Spitzenrand als Unterlage für einen Obstkorb, eine Geige und ein Tablett mit kunstvoll geschliffenem Weinglas. Der Appetit wird durch einen zuckerüberstreuten Löffelbiskuit und das köstliche Obst angeregt, das Ohr freut sich auf das Violinkonzert, die Nase schnuppert an einer halb geöffneten Rosenblüte, die Finger tasten über die zarte Spitze und die Glasgravuren, das Auge erfreut sich am Zusammenspiel der frischen Farben. Auch der Papagei schielt begehrlich nach der aufgebrochenen Feige, die er mit der Kralle festgeklemmt und genießerisch angepickt hat. Wahrscheinlich ist der lüsterne Vogel mit dem Krummschnabel ein Sinnbild der sexuellen Begierde, die ein Maler früherer Zeiten diskreter anzudeuten wußte, als wir es beispielsweise von einem heutigen Film gewohnt sind. Man wußte um den erotischen Symbolgehalt der Feige, auf deren weiches rosa Inneres der Papageienschnabel so scharf ist, daß er Melone, Weintraube und Pfirsich links liegenläßt.
Auch ein moderner Papagallo gleicht in seiner heiter-charmanten Eindeutigkeit dem bunten Vogel auf diesem Bild, stets bereit, die süßesten Früchte aufzustöbern und ohne schlechtes Gewissen anzubeißen. Aber gehörte ich zu den überreifen Feigen?
Ellen redete mir gelegentlich zu wie einem störrischen Gaul. »Mich hat man so sehr zu einer anständigen Frau erzogen, daß ich selbst nach dem Tod meines Mannes kaum über meinen Schatten springen kann. Ich hatte allerdings die Hoffnung, daß ihr jungen Frauen mutiger vorgeht!«
»Ich bin keine Witwe«, sagte ich. »Vielleicht tu' ich mich mit den Männern so schwer, weil ich in Vaters Augen eine taube Nuß war.« Ellen meinte, alle Frauen täten sich schwer mit den Männern, und die mit ihnen.
Ich wollte meiner Schwester etwas schenken, aber was? Schmuck trug sie kaum, den eigenwilligen Geschmack ihrer Kleider konnte ich nicht einschätzen. Ihretwegen trieb ich mich einen ganzen Nachmittag in verschiedenen Orten und Läden herum, bis ich schließlich in Casamicciola eine Obstschale erstand, die mit bunten Porzellanfrüchten dekoriert war.
Ellen freute sich. »Ich hätte noch einen Wunsch«, sagte sie, »und zwar ein Porträt von mir!«
Paolo könnte das viel besser, dachte ich. Auf meinem zerstörten Familienbild war die Ähnlichkeit der einzelnen Personen nur mit gutem Willen erkennbar gewesen; ich versuchte es trotzdem. Ellen saß mir geduldig Modell, aber das Ergebnis war unbefriedigend. Sie sah es bald ein.
»Weißt du was, Anne«, sagte sie, »mit Menschen hast du Probleme, mit Gegenständen scheint es eher zu klappen. Zeichne mir doch ein Erinnerungsbild mit lauter Dingen, die mich an Ischia denken lassen.«
Wir stellten Muscheln, das filigrane Skelett eines Seeigels, rote Oleanderblüten und den neuen Obstteller auf eine mit Bougainvilleen umrankte Balustrade und versuchten, ein anmutiges Insel-Stilleben zu komponieren.
Lara unterbrach uns, sie habe Edelsteine in den Fluten entdeckt, die es zu bergen gelte. Beide Kinder tauchten - unter Lebensgefahr, wie sie behaupteten - und brachten die Schätze schließlich an Land, wo sie sich als Fragmente von Schwimmbadfliesen entpuppten, vom Meer in gefällig glatte Formen
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