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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Hafen.

    Was wollte ich eigentlich? Das Herumschlendern ohne Begleitung war wunderbar. Ich konnte vor allen Geschäften stehenbleiben, so lange wie mir der Sinn danach stand; ich konnte essen und trinken, wann, was und wo ich wollte.
    Bei einem Porträtmaler blieb ich länger stehen. Er hatte sich gerade die Besitzerin eines ansehnlichen Kropfes vorgenommen, die möglichst jung und schön gemalt werden wollte. War sie sein Opfer, oder war er ihres? Ich schaute zu, wie er mit Rötel rasch und routiniert eine oberflächliche Ähnlichkeit herstellte, was mir bei meinem Familienbild schwergefallen war. Als die Dame hochzufrieden bezahlte, sah sich der flinke Mann nach neuen Kunden um und erblickte mich.
    »Nein, nein, hab' kein Geld dafür, nur Interesse. Ich male auch«, sagte ich kühn.
    Der Künstler sprach Deutsch, wie anscheinend jeder auf Ischia. Dann müsse er sich schämen, meinte er, denn seine Schnellporträts seien alles andere als gut, aber er verdiene in der Saison trotz der großen Konkurrenz ausgezeichnet damit. Er wühlte in seiner Mappe und zeigte mir Bilder, die er für besser erachtete. Es waren surrealistische, poetische Versuche in verträumten Farben; seltsame Fabelwesen trieben sich in elysischen Gärten herum.
    »Wunderschön«, sagte ich mit Nachdruck. So ein Lob kommt an.
    Paolo packte seine Sachen zusammen und bat einen Kollegen, der zehn Meter weiter sein Handwerk ausübte, auf die Klappstühle und das Zeichenbrett aufzupassen. Wir gingen Espresso trinken und fachsimpeln. Wie und was ich denn male? wollte er wissen, und ob ich im Urlaub von einem gewaltigen Schaffensdrang erfüllt sei?
    Das Ende vom Lied war leider keine Affäre - denn Paolo erzählte stolz von einem frischgeborenen Stammhalter -, sondern ein gemeinsamer Besuch in einem Fachgeschäft. Wir suchten Tusche, Federn, Pinsel, Aquarellfarben und mehrere Blocks in verschiedenen Formaten aus. Ein herzliches »Ciao, bella!« klang mir noch den ganzen Heimweg wie Musik in den Ohren.
    Meine Schwester hielt die Malsachen bloß für ein Mittel, um den schwarzhaarigen Paolo zu ködern. »Es ist immer gut, mehrere Eisen im Feuer zu haben«, empfahl sie. »Zieh gleich morgen wieder los! Hier am Schwimmbad herumhängen kannst du noch, wenn du mein hohes Alter erreicht hast.« Aber meine zwei Solo-Ausflüge blieben vorläufig die letzten, weil ich wie eine Besessene zu zeichnen anfing.
    Zuerst nahm ich mir eine Artischocke vor, dann das Gerippe einer Meeräsche, Blüten von Oleander und Hibiskus, einen Teller voller Feigen... Ich zeichnete mit der Feder, kleckste, schmierte, aquarellierte und wurde zunehmend glücklich. Meistens saß ich dort, wo die Kinder herumtobten - am Pool, am Strand, auf der Terrasse -, und ließ mich durch nichts auf der Welt stören. Wahrscheinlich langweilte ich meine Schwester mit dieser Tätigkeit zu Tode. Wie sehr hatte sie sich gewünscht, als Ersatz für eigene Romanzen ein erotisches Abenteuer aus zweiter Hand zu erleben.
    Intuitiv hatte Lara begriffen, daß es zwischen ihren Eltern nicht zum besten stand. Alle paar Tage versuchte sie, Reinhard anzurufen, meistens war er nicht zu erreichen. Unsere Tochter schlüpfte in meine Rolle hinein, um den Vater und Ernährer für die Familie zu erhalten. Ich war nur froh, daß sein Büro nicht abgebrannt war, denn das wäre uns sicherlich, Feuerversicherung hin oder her, teuer zu stehen gekommen.

Papageienkrankheit

    Bekanntlich werden auf Ischia teutonische Krankheiten aus dem rheumatischen Formenkreis kuriert; manche Lokale werben mit dem launigen Motto »Morgens Fango, abends Tango«. Aber Klischees trügen. Am Strand traf ich viele junge italienische Familien und Liebespaare, die vor der schlechten Luft des neapolitanischen Festlands geflüchtet waren. Wenn ich die glückliche Jugend beobachtete, kam ich mir uralt vor. Eine Frau mit halbwüchsigen Kindern, deren vierzigster Geburtstag immer näher rückt, gehört nicht mehr zur Generation der Studenten. Sie wird von empörten Omas auf die Seite des Alters gezerrt: »Schauen Sie doch mal, wie die da drüben sich benehmen...«
    Ein Pärchen war es, das mir das Herz schwer machte. Wie schön waren beide! Ölig glänzten ihre schlanken Körper, schwarz die Locken, und sie strahlten. Wie ausgelassene Kinder spielten sie Ball, warfen sich lachend in den Sand, schleckten Eis aus einer einzigen Waffel. Aber das Rührende war ihr Glück, ihre unschuldige Freude aneinander. Und ich? Mit meiner Schwester saß ich zeichnend am

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