Röslein stach - Die Arena-Thriller
ja gleich noch ins Bad musste. Jetzt öffnete sie die Tür zum Balkon. Der Verkehrslärm hatte deutlich nachgelassen. Sie machte einen Schritt hinaus und blickte gedankenverloren nach draußen. Viel war allerdings nicht zu sehen. In den Häusern, die weiter oben an der Straße lagen, brannte schon längst kein Licht mehr. Gegenüber lag der alte Friedhof in tiefer Dunkelheit da, nur die höchsten Bäume hoben sich gegen den leicht erhellten Stadthimmel ab und der Schein der Straßenlaterne erhellte gerade noch das eiserne Eingangstor. Auf dem Land war der Himmel immer tiefdunkel gewesen, erinnerte sich Antonia. Wie hatte der, an den ich nicht dauernd denken soll, den Blick hier raus noch gleich genannt? Zimmer mit Aussicht auf den Tod. Sehr treffend und typisch Robert.
Langsam gewöhnten sich Antonias Augen an die Dunkelheit, sie konnte immer mehr Konturen wahrnehmen. Plötzlich zuckte sie zusammen. Stand da nicht jemand neben dem Tor? Dieser kompakte Schatten – das war doch der Umriss eines Menschen. Oder? Sie war nicht sicher, der Lichtkegel der Laterne reichte nicht ganz an den Schatten heran. Und warum, bitte schön, sollte einer nachts um halb zwei vor dem Friedhof herumstehen? Doch sie bezweifelte inzwischen nicht mehr, dass da jemand war. Dieser schemenhafte helle Fleck, das war doch ein Gesicht! Schaute er etwa zu ihr hoch? Unwillkürlich wich sie vom Balkon zurück ins Zimmer, starrte jedoch weiterhin so angestrengt nach draußen, dass sie fast zu blinzeln vergaß. Der Mann – falls es tatsächlich einer war – rührte sich nicht. Zwei, drei Minuten vergingen. Schließlich wurde es Antonia zu dumm. Vielleicht bildete sie sich das alles nur ein. Sie ging ins Bad, putzte sich die Zähne und schaufelte sich kaltes Wasser ins Gesicht.
Zurück im Zimmer konnte sie jedoch nicht widerstehen und schaute sofort wieder hinaus. Der Schatten vor dem Tor war verschwunden. Hatte da wirklich jemand gestanden? Oder hatte Robert sie mit seinen Gruselgeschichten schon so weit gebracht, dass sie Gespenster sah? Robert, Robert, schon wieder Robert! Aufseufzend machte sie das Fenster zu, ließ sich auf die Matratze fallen und schlüpfte unter die Decke. Das muss aufhören, Toni, das geht so nicht weiter!
4.
Am nächsten Morgen wurde Antonia von Katies Blechstimme geweckt, die irgendetwas brüllte, das sich wie »Garten« und »Mann« anhörte. Sie blinzelte. Wo war sie? Was war das für eine hässliche lila Wand, wieso lag sie auf einer Matratze auf dem Boden? Allmählich kam sie zu sich. Ihr neues Zimmer! Noch recht schäbig und kahl, so ohne Möbel und Bilder, aber ihres. Sie schaute auf die Uhr. Halb neun. Was war heute für ein Tag? Samstag. Der Tag der Gartenarbeit fiel ihr ein. Konnte man das nicht ein, zwei Stunden später erledigen? Sie stand auf, schlüpfte in Jeans und T-Shirt und wollte gerade ins Bad gehen, als sie sah, dass Roberts Tür am Ende des Flurs offen stand. In seinem Zimmer hatten sich Katie, Matthias und Robert versammelt, Katie trug ein langes T-Shirt, die Jungs waren nur mit Boxershorts bekleidet. Alle drei starrten aus dem Fenster.
Antonia näherte sich. »Was ist denn los?«
»Da schleicht ein fremder Typ ums Haus«, erklärte Katie aufgeregt. »Hab ich mich vielleicht erschrocken, wie ich so in die Küche gehe, weil ich was trinken will, und nichts Böses ahnend rausschaue…«
Der Mann von gestern Abend!, durchfuhr es Antonia. Zögernd betrat sie Roberts Zimmer. Es war deutlich größer als ihres und nur sparsam möbliert. Eine Platte auf zwei Holzböcken diente als Arbeitstisch, es gab ein Bett, ein Bücherregal und einen Einbauschrank. An einer Wand hing ein Kinoplakat von Fluch der Karibik. Das Zimmer von einem, der sich nicht mit unnötigem Ballast abgeben möchte und jederzeit bereit ist, wieder auszuziehen, war Antonias Eindruck. Sie drängelte sich neugierig zwischen die anderen, wobei sie – natürlich nur ganz zufällig – Roberts nackten Oberkörper mit ihrem Arm streifte. Lass den Quatsch!, ermahnte sie sich. Jetzt sah sie den Mann auch. Er war schon älter. Fünfzig? Sechzig? Antonia tat sich schwer damit, das Alter von Menschen jenseits der Dreißig zu schätzen. Er trug olivgrüne Hosen und ein braunes Hemd. In der Hand hielt er eine Gartenschere.
»Krass, der klaut unsere Rosen!«, schnaubte Katie empört.
Robert und Matthias tauschten einen Blick, dann sagte Matthias: »Los! Den schnappen wir uns.«
»Aber zieht euch was an, ihr Helden«, rief Katie ihnen
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