Röslein stach - Die Arena-Thriller
in Kontakt zu treten, solange sie hier ist.«
Hat sie das wirklich?, fragte sich Antonia im selben Moment. Wenn, dann müsste Robert es wissen, er hat ja mit ihr geredet, gestern Abend. Und zwar über zwei Stunden! Erst gegen elf Uhr war er wieder heruntergekommen und in sein Zimmer gegangen, sie hatte ihn gehört. Beim Gedanken an Roberts offensichtlichem Interesse an Selin bereute sie aufs Neue, das Mädchen ins Haus gebeten zu haben. Das hatte sie nun von ihrer Gutmütigkeit und ihrem Übereifer! Fast wünschte sie sich nun, Selin würde gegen die Abmachung verstoßen und auf diese Weise selbst dafür sorgen, dass sie bald wieder verschwand. Ja, sie wusste, es war gemein von ihr, so etwas zu denken. Aber sie konnte nun mal nichts für ihre Gefühle.
Der Gärtner lächelte, aber es war kein fröhliches Lächeln. »Soso, das hat sie versprochen«, wiederholte er nur. »Na, dann bin ich ja mal gespannt.«
»Was meinen Sie damit?«
»Was macht ihr, wenn sie in zwei Wochen einfach nicht verschwindet?«
»Dann wird uns schon was einfallen. Wo… wo gehen Sie denn hin?«
Petri hatte seine Gartenschuhe abgestreift und gegen sauberes Schuhwerk getauscht. Jetzt nahm er seine Jacke von der Bank und steuerte auf die Pforte zu.
»Ich muss was erledigen«, sagte er. »Hat nichts mit euch zu tun, keine Sorge. Schönen Tag noch.«
Seit der Unterhaltung mit Herrn Petri war Selin nicht mehr aus ihrem Zimmer gekommen. Antonia war nicht traurig darüber. Das diffuse Gefühl des Misstrauens, das sie ihr gegenüber empfand, war durch das belauschte Gespräch noch verstärkt worden. Vielleicht hatte es aber auch mit Robert zu tun, vielleicht war sie schlicht eifersüchtig. Aber auch ohne Robert im Hinterkopf – Antonia ahnte, dass mit Selin irgendetwas nicht stimmte. Sie musste nur noch herausfinden, was.
Sie saß nun wieder an ihrem Schreibtisch, hatte sich in das neue Englischbuch vertieft und zuckte zusammen, als jemand heftig an ihre Tür klopfte. Sie hatte noch nicht einmal Ja gerufen, da flog die Tür auch schon auf.
»Was ist denn los?«, fragte Antonia, denn Selin sah sie mit schreckgeweiteten Augen an. »Da… da ist ein Mann. Ein fremder Mann…«
Antonia musste an die Gestalt denken, die sie in der ersten Nacht in der Villa vor dem Friedhofstor zu sehen geglaubt hatte. Jeden Abend hatte sie seitdem beim Zubettgehen noch einmal hinausgeschaut, aber der Schatten war nicht wieder aufgetaucht, sodass Antonia zu dem Schluss gekommen war, dass sie sich den Mann vor dem Tor nur eingebildet hatte.
»Wo ist der Mann?«, fragte sie jetzt.
»Hinten, im Garten«, flüsterte Selin. »Ich habe ihn von meinem Zimmer aus gesehen.«
Antonia stand auf. Herr Petri konnte es nicht sein, den kannte Selin ja nun schon. »Warte!« Obwohl es keinerlei Sinn machte, hatte Antonia unwillkürlich geflüstert. Sie überquerte den Flur und öffnete die Tür zu Roberts Zimmer, von dessen Fenster aus man die beste Aussicht auf den rückwärtigen Teil des Grundstücks hatte. Tatsächlich, da stand ein fremder Mann, dunkelhaarig, jünger als der Gärtner und von untersetzter Gestalt. Jetzt schirmte er seine Augen mit der Hand ab und blickte an der Fassade hoch. Antonia wich reflexartig zurück. Hatte er sie gesehen? Sie wagte nicht mehr, zurück ans Fenster zu gehen.
»Was ist?«, flüsterte Selin, die in der Tür stehen geblieben war.
»Keine Ahnung, ich kenn den auch nicht«, antwortete Antonia. Auch in ihr wuchs die Furcht von Sekunde zu Sekunde und ihre Gedanken überschlugen sich: ein Polizist, von der Kripo oder dem LKA, der nach Terroristen suchte? Hatte am Ende doch jemand ihren Wagen vor der Scheune bemerkt? Ein Jäger womöglich, der sie von einem Hochsitz aus durch ein Fernglas beobachtet hatte. Und hatten sie auf dem Weg zur Scheune wirklich keinen Spaziergänger oder Radfahrer überholt? Antonia konnte es nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Aber es könnte sich auch die Inhaberin der Bäckerei, bei der sie nach ihrer Mutter gefragt hatte, an das fremde Auto vor dem Laden erinnert haben. Oder die Nachbarn, als Antonia bei ihrer Mutter war und Robert im Wagen gewartet hatte… Oder es hatte tatsächlich etwas mit Selin zu tun.
Die war aschfahl und zitterte immer noch, als sie nun sagte: »Vielleicht haben sie mir einen Detektiv auf den Hals gehetzt.«
»Einen Detektiv?«, wiederholte Antonia ungläubig. »Wie kommst du denn auf die Idee?«
Es klingelte. Beide fuhren zusammen. Antonia überlegte. Sollte sie öffnen? Was, wenn sie
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