Roeslein tot
nicht ganz mit der Kundschaft des Cafés deckt. Doch die Friseurin schneidet gerade dem buckligen Alois, der mal wieder unangemeldet vorbeigekommen ist, die weißen Zotteln. Das wird eine Weile dauern, denn der Alois hat an allem etwas auszusetzen. Bei ihm darf nach dem Friseurbesuch kein Härchen aus der Reihe tanzen.
Als die Bäckerin schon am Einnicken ist und die Linden mit ihr, hört man nebenan die Glastüre der Metzgerei Sauder quietschen. Geht da etwa jemand so spät noch Weißwürste kaufen? Nein, es ist die Metzgerin, die auch mal ein paar Sonnenstrahlen abkriegen möchte.
Die Metzgerei ist ein noch viel traurigerer Ort als die Bäckerei. Wenn Menschen Pflanzen verschlingen, muss man ihnen zugutehalten, dass sie nicht wissen, welches Leid sie damit verursachen. Wenn sie das Gleiche den Tieren antun, wissen sie es dagegen sehr wohl. Aber es kümmert sie nicht.
In der Metzgerei steht die Metzger-Zenzi den ganzen Tag in ihrer blutverschmierten Schürze hinter der Theke, auch wenn stundenlang keiner kommt. Am liebsten würde sie sich zur Vilshoferin setzen und ein bisschen palavern, doch seit die Bäckers und die Metzgers verfeindet sind, geht das nicht mehr. Der Sauder hat nämlich vom Vilshofer für die Semmeln, in die er seinen warmen Leberkäs legt, Mengenrabatt verlangt. Da hat der aber nicht mitspielen wollen. Der Metzger hat geknurrt »Werst scho seng, wos davo host« und holt jetzt seine Semmeln in der Großbäckerei in Penzberg. Der Bäcker und der Metzger reden nicht mehr miteinander und verlangen das Gleiche von ihren Frauen. Nur feindselige Kommunikation ist erlaubt. Ein paar von den Linden haben die Metzger-Partei und ein paar die Bäcker-Partei ergriffen. Den übrigen Reindlfinger Pflanzen ist dieser Grabenkrieg ziemlich egal.
Die Metzger-Zenzi schaut sich um, mit wem sie ein paar Worte wechseln könnte. Nur die Vilshoferin sitzt da. Soll sie zu ihr hingehen? Die Bäckerin döst und würde wahrscheinlich gar nicht merken, wenn sich die Metzgerin wortlos wieder verzieht. Das heißt, doch nicht. Jetzt ist die Vilshoferin leider aufgewacht und schaut die Zenzi unverwandt an. Ein Rückzug in dieser Situation wäre Feigheit vor dem Feind. Weil Angriff die beste Verteidigung ist, marschiert die Metzgerin geradlinig auf das Plastiktischchen zu, stellt sich mit verschränkten Armen vor die Bäckerin und bläst zur Attacke.
»Host gestern de Nochrichtn gseng? Do is a Bericht über an Rechtsstreit kemma, wo mei Lukas ois Star-Anwoit auftritt. Sei Kanzlei is inzwischn in gonz Deitschlond berühmt«, säuselt sie.
Die Vilshoferin pariert diesen Erstschlag sofort. »Des is goar nix gegen die Praxis vo meim Jakob. De gonze Prominenz von Müncha gibt sich dort de Klinkn in d’Hond. Neilich wor der Beckenbauer do. Der ist nämlich sei Stammpatient. Do schaugst, gell?«, flötet sie.
Die übrigen Bäcker- und Metzgerkinder, die allesamt aus Reindlfing in die weite Welt gezogen sind, werden jetzt in der Steilheit ihrer Karrieren entsprechend absteigender Reihenfolge durchgenommen. Anschließend kommen die Enkel dran, nach schulischen Leistungen sortiert, sofern sie bereits zur Schule gehen. Als trauriges Ergebnis bleibt bestehen, dass die Vilshoferin immer noch mit zwei Stück im Rückstand ist. Seit Jahren liegt sie ihren Söhnen und Töchtern in den Ohren, die Fortpflanzungsfreude ein bisschen zu steigern, doch vergebens. Sie beißt sich auf die Lippe. Soll sie jetzt ihren nuklearen Sprengkopf abfeuern oder nicht? Schnell ist’s entschieden: Den Makel von zwei fehlenden Enkeln kann sie nicht ohne Gegenwehr auf sich sitzen lassen.
»Gwiss host no ned gheert, wos im Dorf passiert is.«
»Naa, wos denn?« Die Zenzi versucht, so gleichgültig wie möglich zu klingen. Meistens ist der Tratsch von der Vilshoferin sowieso unbedeutend. Diesmal könnte es jedoch was Besonderes sein. Die Metzgerin hat da so eine Ahnung.
»Woaßt du echt goar nix?«
Die Zenzi schüttelt den Kopf. Noch einmal zieht die Vilshoferin die Erwartung so weit in die Länge, wie es nur geht.
»A Mord. An Mord hot’s gebn. Hier in Reindlfing! Und i woaß ois.«
»Ois? Soso. Sog bloß, der Sepp is tot.«
Jetzt zeigt die Bäckerin den Linden ein völlig verdattertes Gesicht. Das war nicht gerade die Reaktion, die sie sich erhofft hatte. Woher kann die einfältige Kuh das nur wissen? Kann sie hellsehen?
»Jo, genau, der Sepp …« Was anderes fällt ihr als Antwort nicht ein.
»Des hob i ma hoiber denkt. Do passt ois zsamma«,
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