Rohypnol - Hutchinson, A: Rohypnol - Rohypnol
davon, streicht mit den Fingern durch ihre langen Haare, lässt die Hand im Nacken.
Auf dem Weg zum Bahnhof rufe ich Thorley an.
W ie, glaubst du, fühlt sich deine Mutter, angesichts dessen, was du getan hast?«, fragt Dr. Jessica Snowden und beobachtet meine Reaktion.
Dr. Jessica Snowden ist die Psychologin. »Nenn mich ruhig Jess«, hat sie gesagt. Nachdem alles gegen die Wand gefahren war, haben sie Dr. Jess damit betraut, mich wieder hinzukriegen. Als Teil meiner Strafe.
Dr. Jessica Snowden ist keine Psychiaterin, sondern Psychologin. Psychiater sind zunächst einmal Ärzte und spezialisieren sich auf Psychiatrie. Psychologen nicht. Deshalb dürfen nur Psychiater Medikamente verschreiben. Dr. Jessica Snowden darf keine Medikamente verschreiben. Ansonsten weiß ich über sie, dass sie gerne reitet.
»Dabei schalte ich ab«, sagt sie. »Wie schaltest du ab?«
Bei Dr. Jessica Snowden wird alles in eine Frage gekleidet. Jede meiner Bewegungen wird observiert, ständig macht sie sich Notizen. Alles hat eine Bedeutung. Wenn ich mir an den Hals fasse, durchs Haar streiche, alles, was ich mache, wird mitstenografiert.
So verbinden sie die Punkte.
So kriegen sie dich wieder hin.
Dr. Jessica Snowden ist hochgewachsen und trägt Röcke, die knapp über dem Knie enden. Sie ist vielleicht Anfang dreißig, trägt eine Brille und dunkle Lippenstifte. Ihr blondes Haar bindet sie meistens zu einem Pferdeschwanz, sie sieht dann aus wie aus dem Robert-Palmer-Video. Sie ist keine Schönheit, aber nicht unattraktiv.
Außerdem weiß ich, dass Dr. Jessica Snowden sehr viel Wert auf Ordnung legt. Sie hasst es, wenn etwas nicht an seinem Platz ist. Sie mag Katzen, hat selber zwei. Dr. Jessica Snowden ist in einem Vorort aufgewachsen, hat eine Schwester, ihr Vater ist Feuerwehrmann, ihre Mutter Krankenschwester. Als sie mir das erzählt hat, erwidere ich, meine Eltern träfe an dem, was ich getan hätte, keine Schuld. Ich sage ihr, damit brauche sie gar nicht erst anzufangen. Die haben mit nichts etwas zu tun.
Die haben ihr Bestes gegeben.
Wir treffen uns montags und donnerstags. Das strukturiert die Woche. Wir treffen uns in ihrem Büro, einem weißen, klinisch wirkendem Raum, in dessen Wartezimmer gebundene Fachmagazine stehen. Am Schreibtisch ihrer Sekretärin klebt ein Blatt Papier mit der Aufschrift: »Schönheit in Aktion«. Von der Sekretärin kann man das nicht behaupten. Aber sich selbst zu belügen, kann einen großen Beitrag zu einer soliden psychischen Verfassung leisten.
Dr. Jessica Snowden unterhält sich mit mir über die Musik, die sie gern hört, die Filme, die sie gesehen hat, die üblichen Themen, damit wir uns besser kennenlernen, Freunde werden. Wenn sie die richtigen Fragen stellt, öffne ich mich vielleicht. Rede mir den Kummer von der Seele. Beichte ihr die Geheimnisse meines Lebens. Dann kann sie vielleicht die Punkte verbinden und mich wieder hinkriegen. Mir erklären, dass ich nicht der Einzige bin, der unter dem »Hier zutreffende Bezeichnung eintragen«-Syndrom leidet. Mir die Schulter tätscheln, wenn ich weine. Ich weiß, wie das funktioniert. Kenne Legionen von Schulpsychologen und Leuten, die einfach nur helfen wollen.
Wenn ich mir Dr. Jessica Snowden so anschaue, frage ich mich, was wohl in ihrem Kopf vorgeht. Ich denke an die Dinge, die sie von Psychopathen zu hören bekommen hat. Was für Geschichten sie erzählen könnte, von durchgeknallten Perversos und verzweifelten Hausfrauen.
Weil sie es oft mit jugendlichen Straftätern zu tun hat, ziert ihren Schreibtisch eine Simpsons -Puppe. Bart. Damit sie zeigen kann, dass sie auf dieselben Sachen steht wie du. Dass wir etwas gemeinsam haben.
»Ich liebe Actionfilme«, sagt sie. » Braveheart ist einer meiner Lieblingsfilme. Aber ich mag auch – ich weiß, das klingt ein bisschen kitschig – romantische
Komödien.« Als Dr. Jess merkt, dass die Unterhaltung über Filme nirgendwohin führt, ändert sie ihre Sitzposition und beschließt, das Thema zu wechseln.
Jetzt fragt Dr. Jessica Snowden, wie sich meine Mutter fühlt.
So läuft es immer mit Dr. Jess – eine einfühlsame Frage, eine knallharte Frage. Erst tätscheln, dann eins in die Fresse, schnell aufeinander, mal sehen, wie ich reagiere.
Ich lächle sie an.
»Keine Ahnung, vielleicht fragen Sie sie.«
»Vielleicht.«
»Tun Sie das, sie wird sich freuen, sich mit Ihnen zu unterhalten.«
Dr. Jessica Snowden senkt den Kopf und notiert etwas. »Ich habe bereits mit ihr
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