Rohypnol - Hutchinson, A: Rohypnol - Rohypnol
ich.
»Wir müssen ins Krankenhaus und Oma besuchen, dann gehen wir zu Großvater und helfen ihm mit dem Haushalt. Die ganze Familie wird da sein.«
Mir dreht sich der Magen um. Ich, der Familienversager, der, über den sie sich am Telefon das Maul zerreißen und großzügig Ratschläge feilbieten. Ein gottverdammtes Zimmer voller frustrierter Gestalten, die
mich anstarren. Aus exakt diesem Grund habe ich mich seit Jahren auf keiner Familienfeier mehr blicken lassen.
Ich deute auf Dad, der sich in Hörweite befindet, und sage: »Kommt er auch mit?«
Die Fahrt ins Krankenhaus verläuft ruhig. Es ist heiß, ein Radiomoderator erzählt gequirlte Scheiße. Ma schweigt, aus Angst, einen neuen Streit vom Zaun zu brechen. Und Dad? Ich glaube, er weiß gar nicht, was er sagen soll. Er fährt langsam und umsichtig. In seinem weich gefederten BMW.
Er liebt sein verficktes Auto.
Im Krankenhaus ist es gleißend hell und still. Man kann in die Zimmer sehen, während wir durch die Flure gehen.
Familien besuchen kranke Verwandte, weinen. Patienten, die von ihren Betten aus auf die winzigen, hoch unter der Decke angebrachten Fernseher starren. Manche liegen auch bloß da und starren an die Decke. Bei den meisten Patienten kann ich nicht einmal erkennen, was ihnen fehlt. Krankenschwestern, die lächeln, wenn sie vorbeihuschen. Ich, der die Apparaturen checkt, die Schubladen voller bunter Pillen und Tabletten. Auf der Suche nach Dingen, die wir gebrauchen könnten.
Oma piept, sie hängt an Schläuchen und Röhren und schläft. Unwahrscheinlich, dass sie aufwacht, solange
wir hier sind. Ich suche mir eine Bank zum Anlehnen und warte, dass das Ganze vorbeigeht. Ma sitzt an Omas Seite und hält ihre schlaffe Hand.
Ich denke: So sind die Mädchen. So sind sie, wenn wir sie uns vornehmen. Ohne Bewusstsein. Ohne einen Schimmer, was abgeht.
Dad starrt auf Omas Krankenprotokoll, als würde er was davon verstehen. Ma spricht mit Oma, leise, damit wir nicht hören, was sie sagt. Im Zimmer nebenan liest ein Typ mit dem Arm in der Schlinge eine Zeitschrift.
Eine Schwester kommt herein. Sie ist schon ziemlich alt, aber verdammt geil. Weiße Tracht, gute Titten, schlanke Beine. Ich stelle mir vor, wie sie nackt aussieht. Die Schwester geht um das Bett herum und kontrolliert diverse Schläuche, die aus Oma herauskommen. Sie schaut mich einen Augenblick lang an, und ich stelle mir vor, wie sie ihre Lippen über meinen Schwanz stülpt. Ich versuche cool auszusehen und lächle sie an. Die Schwester beachtet mich nicht und verlässt das Zimmer. Als ich den Blick von ihrem Arsch wende, merke ich, dass Dad mich anguckt. Dad starrt mich geradeheraus an.
Ma drückt einen Kuss auf Omas Hand und wir gehen, drängen uns in den Aufzug. Ma weint lautlos, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, wischt sie sich verstohlen eine Träne von der Backe. Dad legt ihr eine Hand auf den Rücken, zwischen die Schulterblätter.
Ich stehe hinter ihnen, als die Aufzugtür aufgeht. Meine Eltern. Wir gehen schweigend zurück zum Wagen.
Ein grauer, bedeckter Tag, der Wind hat aufgefrischt und wirbelt Müll und leere Tüten auf.
Durchs Schiebedach beobachte ich während der Fahrt die sich zusammenballenden Wolken.
In Großvaters Haus herrscht mächtig Betrieb. Onkel, Vettern und Verwandte, an die ich mich kaum erinnere, hocken im Wohnzimmer oder sind in der Küche beschäftigt. Kinder spielen im Vorgarten hinter Opas schmaler Ziegelmauer. Großvater sitzt am Küchentisch; er schüttelt mir die Hand, schaut mir aber nicht in die Augen. Das Klirren von Besteck und Tellern erfüllt die Küche.
In der Nähe des Fernsehers finde ich ein Plätzchen und hoffe, dass es bald vorbei ist. Es läuft ein schwarz-weißer Nachmittagsfilm. Ich tue, als würde ich ihn anschauen, während ich ihren Unterhaltungen lausche. Meistens sagen sie nur »Ja« und »Ich weiß«.
Ian ist einer meiner vier Onkel. Er ist mit der Schwester meiner Mutter verheiratet. Ein älterer Typ, der erst in der Armee, dann bei der Polizei war, ehe er pensioniert wurde. Außerdem war er ein verfickter Säufer. Ian kommt zu mir rüber, in der einen Hand balanciert er einen kleinen Teller mit einem Stück
dunkelbraunen Kuchen, in der anderen Hand hat er den Löffel. Als er sich neben mich setzt, weiß ich schon, was jetzt kommt.
Wir hatten das alles schon mal.
Ian macht es sich auf Omas blümchengemusterter Couch bequem, schaut mich an und wartet darauf, dass ich ihn grüße.
»Wie läuft’s in
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