Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
entschieden.
Nord hatte einen Fehler: Er vermochte es nicht, für ein gutes Arbeitsklima zu sorgen und seine Mitarbeiter für ihren Job zu begeistern. Also mußte er die anderen Voraussetzungen für Erfolg im Übermaß besitzen. Früher einmal hatte ich davon geträumt, Kommissar zu werden, und mich sogar schon zu einem Kurs für Führungskräfte angemeldet, aber dann wurde doch nichts daraus.
Wenn mich eine bestochene und schwachsinnige Behörde wirklich auserkoren hätte, ich wäre sicher der schlechteste Kommissar des Jahrhunderts geworden. Als Polizist war ich ziemlich gut, oder ich war es zumindest einmal gewesen, aber als Chef wäre ich eine Katastrophe geworden. Die Einsicht kam spät und tat nicht besonders weh.
Anwesend waren auch Rolf Öhman und einer der tüchtigsten Schreibtischgenerale der Abteilung Gewaltverbrechen, Nisse Gunnarsson. Auf einem Tisch lagen die Kleider meiner nächtlichen Besucherin ausgebreitet. Auch an die Handtasche samt Inhalt hatten die Kollegen gedacht. Nord begrüßte uns mit einem Nicken, stopfte seine Pfeife und rauchte sie an. Ich öffnete das Fenster.
»Sie kann nicht viel vor dir verborgen haben«, stichelte Simon und zwinkerte mir zu.
»Sie trug lediglich ein dünnes Negligé, wenn man noch von Negligé sprechen kann. Ich habe von solchen Dingen nie viel verstanden. Was wissen wir über die Kleidungsstücke?«
Öhman und Gunnarsson hatten ihre Erfahrungen bereits ausgetauscht. Öhman war der Wortführer.
»Alles von bester Qualität. Ausschließlich internationale Markenware. Wir wissen allerdings noch nicht, ob hier oder im Ausland gekauft. Die Sachen sind allesamt neu und noch nicht chemisch gereinigt worden. Schuhe Größe 38, italienisches Fabrikat. Wir untersuchen nun gemeinsam mit Importeuren und Detailspezialisten, was davon in Schweden zu kaufen ist.«
»Was sind das für Klamotten?« fragte ich. »Elegante oder nur teure? Wollte sie vulgär-sexuell herausfordern? Oder eher die Dame von Welt spielen?«
»Sie wollte wohl gern zum Jetset gehören«, antwortete Gunnarsson. »The beautiful people. Edle Hülle und nichts dahinter.«
Da konnte er recht haben. Wenn ich mich so an sie erinnerte, saß sie garantiert nicht im Vorstand des örtlichen Konsumvereins.
»Interessant ist vor allem die Handtasche«, bemerkte Simon.
Sie war aus tiefrotem, weichem Leder, der Inhalt war rundherum auf dem Tisch ausgebreitet. Schminke natürlich, ein Fläschchen Parfüm, ein seidenes Taschentuch, ein Schlüsseltäschchen mit drei flachen und einem dickeren Schlüssel sowie einem, der wohl zu einem Bankfach gehörte. Und fünf ID-Karten. Simon nahm eine davon mit Fingerspitzen auf und hielt sie mir entgegen. Das konnte sie sein, auf dem Paßbild war sie nur anders zurechtgemacht. Sie hieß angeblich Virena Hassel. Es war eine sehr schlechte Fälschung, die nicht einmal einen Azubi im Missionsbuchhandel überzeugt hätte. Simon war ganz meiner Meinung.
»Die hatten Glück. Sie muß dem Portier den Kopf verdreht haben, bevor sie ihm die Karte gezeigt hat. Die anderen ID-Karten sind besser, ich meine sogar, perfekt.«
Auf allen war ihr Foto, aber mit verschiedenen Haarfarben, und sie hatte auch die Linien von Mund und Augen durch geschicktes Schminken verändert. Die Namen lauteten Alida van der Loche, Zaza Pauli, Lili-Ann Hebory und Marie Leni Gordon.
»Ist eine davon echt?«
»Nein«, antwortete Öhman, »aber sie könnten einmal echt gewesen sein. Alle Namen und Fingerabdrücke gehen über Interpol raus. Bei uns ist sie in keiner Kartei erfaßt.«
»Das Alter ist auf den Karten verschieden angegeben und liegt im Durchschnitt bei siebenundzwanzig«, fügte Simon hinzu. »Die Namen weisen darauf hin, daß sie sich als Ausländerin ausgeben will oder Ausländerin ist, die hier Schwedisch gelernt hat.«
»Sie ist Schwedin, warf ich ein. Sie verwendet Wörter und Wendungen, die man nur über einen sehr langen Zeitraum erwirbt. Warum sollen solche Schlangen nicht auch in Schweden geboren werden?«
»Dann sollten wir davon ausgehen, daß der oder die Mörder international operieren.«
Die Schlüssel gaben ihr Geheimnis nicht preis; fremde Schlüssel haben das nicht nötig. Und eine unbekannte Tür oder ein Bankfach ausfindig zu machen heißt, eine Stecknadel im Heuhaufen zu suchen.
Ich prägte mir die falschen Namen der schönen Schlange ein und folgte Simon in sein Zimmer. Ich fühlte mich durch das Gespräch mit Virena immer noch deprimiert und beschloß, ihm nichts davon zu
Weitere Kostenlose Bücher