Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
Ich konnte sehen und hören.
»Bin in Topform«, beeilte ich mich zu sagen. »Gibt es heute keinen Tee und keine belegten Brötchen ans Bett?«
Er lächelte. Nur ein wenig, denn seine Augen waren geschwollen und sein Blick müde, aber er lächelte und erweckte mich damit endgültig zum Leben. Ich rasierte mich und zog meine Alltagssachen an. Simon hatte inzwischen das Teewasser aufgesetzt und den Tisch mit Brot, Butter und Käse gedeckt. Das konnte er, und ich versprach ihm neue Stiefel und Wolle für einen Pullover zu Weihnachten, wenn er in meinem Dienst bliebe.
»Äh, zum Teufel!« brummte er, setzte sich mir gegenüber auf den Küchenstuhl und biß in sein Käsebrötchen.
»Darf ich erfahren, was in der Zwischenzeit passiert ist?« fragte ich.
»Meinst du … ich meine … als du und der, der sich Heller nannte, zusammen wart …«
»Nein. Daran erinnere ich mich genau. Lizzie und ihr Kind sind tot, ebenso Klemensson. Ich habe nichts verdrängt. Aber die Zeit ist doch wohl nicht stehengeblieben? Was ist danach geschehen?«
Lizzies Tod hatte den Schock ausgelöst, und ich würde ihn nie vergessen können, aber ich hatte noch einmal Glück gehabt und keinen seelischen Schaden genommen. Klemensson war in Ausübung seines Berufes gestorben, und mit diesem Risiko müssen alle Polizisten leben. Schimpfwörter, Belästigungen, Mißhandlungen und Morddrohungen sind unsere ständigen Begleiter.
»Die gesamte Polizei ist in Aufruhr«, seufzte Simon. »Gestern krochen Journalisten aus aller Welt in jeden Winkel des Hauses, und jede verdammte Kamera, die aufzutreiben war, wurde in Stellung gebracht. Du hättest dabeisein sollen.«
»Nein, danke.«
»Da hast du allerdings recht. Sie waren ganz scharf auf dich, aber wir haben verbreiten lassen, du hättest dich für ein paar Tage an einen unbekannten Ort zurückgezogen, uns aber vorher alles Wissenswerte mitgeteilt. Und das haben wir ihnen dann im Rahmen einer Pressekonferenz weitergegeben. In etwa jedenfalls. Der Hintergrund der Tat läge noch im dunkeln, wir würden aber bis zum Auftauchen anderer Verdachtsmomente davon ausgehen, daß es sich um einen Wahnsinnigen gehandelt hat. Dein Telefon war die ganze Zeit abgeklemmt. Ich hoffe, du bist uns deswegen nicht böse. Ich meine, falls Virena in der Zwischenzeit angerufen hat.«
»Sie hat es jetzt nicht mehr so eilig mit dem Telefonieren«, murmelte ich. »Erzähl weiter.«
»Ann ist wirklich im Krankenhaus und muß dort noch mindestens eine Woche bleiben.«
Sie mußte sicher von einem Psychologen betreut werden. Mit solchen Dingen standen wir bei der Polizei schon immer auf Kriegsfuß.
Und das war wirklich so. Eine rauhe, männliche Schale und die Versicherung, es sei ja nichts passiert, waren das gewöhnliche Modell, mit Belastungen fertig zu werden. Aber im Inneren kochte es, und Stimmen schrien um Hilfe, und unförmige Monster bissen mit scharfen Zähnen zu. Kein Wunder, daß die Polizisten vorn liegen, wenn es um Alkoholismus, Scheidungen und Selbstmord geht.
»Heller ist rund um die Uhr verhört worden, und ich glaube, sie sind immer noch dran. Aber er lächelt nur und erzählt Anekdoten. Wir haben nicht die geringste Ahnung, wer er wirklich ist.«
»Notizbuch? Kalender? Paß? Quittungen? Eintrittskarten?«
»Nichts. Der Mann ist ein Superprofi. Die Taschen waren völlig leer. Die Kleider sind von internationalem Schnitt, aber nicht vom Schneider, sondern von der Stange. Die können überall gekauft worden sein.«
»Genau wie die Klamotten meiner Mata Hari. Und in seinem Heimatland weiß man auch nichts über ihn?«
»Wenn er überhaupt Engländer ist. Wir hatten einen Dolmetscher kommen lassen, aber da fing er plötzlich an, Deutsch zu sprechen, und weigerte sich, in einer anderen Sprache zu reden. Als wir einen deutschen Dolmetscher besorgt hatten, erklärte der, der Mann müsse Deutscher sein. Dann konnte er plötzlich nur noch Französisch, und auch in dieser Sprache war er nach Aussage eines Fachmannes perfekt. Gestern abend war dann Spanisch an der Reihe, und auch der spanische Dolmetscher konnte darauf schwören, daß die Wiege des Mannes in der Gegend von Barcelona gestanden haben muß.«
In Gedanken ging ich durch, was Heller, oder wie immer er auch hieß, zu mir gesagt hatte, als sein Revolver auf mich gerichtet war.
»Er meinte, wenn die Entführung auch schieflaufen sollte, so würde ihm das überhaupt nichts ausmachen, denn er habe überall Freunde. Kann er damit gemeint haben, daß man
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