Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
Gespräch auf mehrere Minuten ausgedehnt, und er hatte es geschehen lassen.
Dafür gab es sicher einen Grund. Er und seinesgleichen waren rational denkende Leute. Vielleicht hatte er gehofft, ich würde mich verquatschen, so wie ja auch ich versuchte, ihn aus der Reserve zu locken. Ich rief Simon an und berichtete ihm von dem Gespräch.
»Die haben Paßfotos von Virena und Elin. Woher?«
»Wir überprüfen das. Und weiter?«
»Die scheinen wirklich international zu operieren.«
»Ja. Unser Gefangener spricht jetzt Holländisch. Der Dolmetscher würde Gift darauf nehmen, daß er in Amsterdam aufgewachsen ist. Beeil dich, wenn du Barbro noch sprechen willst, bevor wir in den Buchverlag fahren. Nimm ein Taxi. Der Staat bezahlt es.«
Er hatte Angst, ich würde mich auf dem Weg in die Garage verirren, und vielleicht hatte er recht. Kurze Zeit später stand ich vor dem Haus Styrmansgatan 14 B, D und E. Die Fassade wirkte eigentlich ziemlich nichtssagend, aber das Portal war gewaltig und die Türen verschwenderisch verglast. Die beiden tief eingemeißelten und golden ausgelegten Ziffern 1 und 4 flankierten einen Bibelvers Sprüche 3.3. Simon hatte mir den Türcode genannt, den man im heutigen Stockholm fast immer benötigt, wenn man ein Haus betreten will. Bald muß man wohl auch noch die Personenkennzahl eingeben.
Im Eingangsbereich hing eine Orientierungstafel. Der Name Stridh stand auf einem blauen Plastikstreifen unter dem Buchstaben C.
Ich ging durch den Flur auf den Hof.
Es war einer der schönsten Hinterhöfe Stockholms, der zeigte, daß einem hier das Wohl der Mieter am Herzen lag. Sonst ist ein Hinterhof meist etwas Störendes, aber hier war er in ein Schmuckstück verwandelt worden.
Er war mit Steinen ausgelegt, mit den altertümlichen, behauenen Straßensteinen, deren bogenförmiges Muster man nie vergißt. In der Mitte befand sich eine ovale Rabatte mit einem Baum, der schon Knospen angesetzt hatte, und ein paar anderen Stauden und Blumen. In einem achteckigen Sandkasten spielten einige kleine Kinder, während die Mütter nebeneinander auf einer Bank saßen und strickten. Auf einem Holztisch standen eine Thermoskanne, Kaffeetassen und eine Schale mit Keksen. Es gab noch mehr Tische und Bänke, und ich konnte mir vorstellen, daß die Mieter hier gern zusammen feierten, mit Salaten und Rotwein und gemeinsamem Gesang.
Obwohl die ockerfarbenen Fassaden den Hof hoch und massiv umstanden, wirkte dieser hell und luftig. Da sah man wieder einmal, was ein guter Architekt erreichen konnte. Vom Hof gingen vier Eingänge ab, jeder von einem Schrägdach gekrönt wie eine chinesische Pagode. Genau auf der gegenüberliegenden Seite befand sich eine freistehende Wand, die aus einem griechischen Tempel stammen konnte. Darauf sah man eine Malerei im klassischen Stil, eine Pflanze mit roten Blüten in einem Topf vor einem leuchtend himmelblauen Hintergrund. Der Topf stand, wie es sich gehörte, auf einer in Pastellfarben gehaltenen Marmorsäule. Ich trat näher und besah mir die Sache genauer. Wie ich es mir gedacht hatte: Die Wand verbarg ein Pissoir und eine Stellfläche für Mülltonnen. Kein schlechter Gedanke, noch bei den trivialsten Beschäftigungen wurde das ästhetische Empfinden angesprochen.
Ein verblichener Text auf einer Gedenktafel erinnerte an den fähigen Architekten: C.E.Broms, 1814-1903, 1917. Gratuliere, Broms, wo du auch sein magst, du hast gute Arbeit geleistet, und wenn ich beim Wohnungstausch viel Glück habe, werde ich vielleicht in deinem Meisterwerk wohnen.
Eine schlanke Frau öffnete. Sie trug ein einfaches schwarzes Kleid und als einziges Zugeständnis an die Eitelkeit um den Hals eine Goldkette mit einem Kreuz. Das lange, blonde Haar gab ihr ein mädchenhaftes Aussehen, die blauen Augen waren klar und schienen von innen her zu leuchten. Ihr Mund mit den wohlgeformten Lippen lächelte mild. Ich zeigte ihr meine ID-Karte.
»Hej, ich heiße Roland Hassel, Kriminalinspektor. Ich würde gern mit Barbro Stridh sprechen.«
»Das bin ich.«
»Was? Du?«
»Ja. Willst du dich nicht setzen?«
Etwas verblüfft ließ ich mich in einen der altmodischen Sessel sinken. Sie sah aus, als hätte sie ihr ganzes Leben in einem Mädchenpensionat verbracht, wo es als das schlimmste Verbrechen galt, wenn man während des Mittagsschlafes der Vorsteherin Marmelade aus der Speisekammer stahl. Ich hatte eher damit gerechnet, eine weibliche Entsprechung zum Bildnis des Dorian Gray im letzten Verfallsstadium
Weitere Kostenlose Bücher