Roland Hassel - 07 - Wiedergänger
Gehirn gab es keine Gedanken mehr, nur noch eine vollständige Leere. Ich saß da und atmete. Weiter tat ich nichts. Es gab nichts weiter zu tun.
Eine Hand legte sich leicht auf meine Schulter. Jemand war hereingekommen, und ich hatte es nicht gehört. Warum auch, es ging mich nichts an. Das hier war mein Platz, den hatte ich mir selbst ausgesucht, und es gab keinen anderen.
»Rolle, verdammt, wie geht es dir?«
Ich murmelte etwas. Simon zwang mich, den Kopf zu heben und ihm in die Augen zu sehen. Sein Blick war sehr bekümmert. Jemand sprach mit meiner Stimme, und ich hörte sie sagen: »Ich bin schockiert, Simon. Ich bin mir dessen bewußt, aber es hilft mir nicht.«
»Wer wäre das nicht? Ein paar von uns fahren mit dir heim und passen auf, daß du Ruhe findest.«
»Ja also, dann macht das.«
Die paar von uns waren Simon, Pelle Pettersson und eine der weiblichen Fahnder, Magda Hodell. Irgendwie müssen wir das Gebäude verlassen und durch die Stadt gefahren sein, denn plötzlich befanden wir uns in meiner Wohnung, und ich entdeckte verwundert, daß ich in dem Pyjama steckte, der unter dem Kopfkissen gelegen hatte.
»Rolle, es ist schwer …«
»Frag ruhig.«
Ich antwortete wie ein programmierter Automat. Ein Polizist muß jederzeit in der Lage sein, einen Bericht abzugeben, und ich war Polizist. Wenn ich es überhaupt war, der da antwortete. Ich erkannte meine eigene Stimme nicht wieder.
»Schaffst du es, uns etwas über diesen Mann zu erzählen?«
»Ich bin hellwach. Munter wie ein Pelikan.«
Die fremde Stimme schilderte in exaktem Polizeijargon, wie sich die Geschichte, beginnend mit dem ersten Telefongespräch, zugetragen hatte. Meine Kollegen lauschten intensiv und stellten kurze Zwischenfragen.
»Was wollte er von dir?«
»Wir sollten mit dem Auto fahren.«
»Irgendwelche Details?«
»Das war alles.«
Aber nett war er gewesen. Unterhaltsam. Ein sonderbares Lachen stieg in mir hoch und ließ sich nicht zurückhalten, und so rollte ich auf dem Bett hin und her und hielt mir den Bauch, bis ich einen Krampf bekam. Der Anfall endete mit einem tiefen Seufzer.
Ich bemerkte, wie die drei bedeutungsschwere Blicke wechselten, aber was hatte das schon mit mir zu tun.
»Wie hieß der Idiot von einem Helden, der sich hat erschießen lassen?« fragte ich.
»Lars-Erik Klemensson. Vierundzwanzig Jahre alt. Verheiratet, ein Kind.«
»Ist Lizzie gestorben?«
Simon nickte und zwang sich, mit scheinbar ruhiger Stimme zu antworten: »Ja. Das Kind auch. Sie hat noch geflüstert, daß sie ihn nur fragen wollte, ob er in London ein gutes Lokal empfehlen könne.«
»Gute Arbeit, wie du ihn fertiggemacht hast«, fiel Pelle mit einer Überzeugung ein, die nicht ganz echt zu sein schien.
»Wo ist Ann?«
»Im Krankenhaus. Sie ist psychisch ziemlich angeknackst.«
Ich wußte nicht warum, aber das klang für mich unerhört lustig. Wieder bekam ich einen Lachanfall, und Magda legte mir ihre kühle Hand auf die Stirn, bis ich wieder normal atmete.
»Schlaf jetzt«, sagte sie. »Ich bleibe hier.«
»Fremde Frauen im Schlafzimmer? Niemals! Du willst mich vielleicht verführen. Und das Fleisch ist ja schwach.«
»Das werden wir sehen. Nimm erst mal diese Tablette.«
Ich machte brav den Mund auf, schluckte die Tablette, trank etwas Wasser nach und sank dann ins Kissen zurück. Die Zimmerdecke da oben erkannte ich wieder. Das war bestimmt meine. Aber sie war doch weiß gewesen, und jetzt war sie grau. Grauer und grauer und grauer … Alles versank in einem großen, grauen Nebel.
Als ich wieder erwachte, setzte ich mich ruckartig im Bett auf.
Auf einem Stuhl saß Simon. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und stutzte.
»Als ich einschlief, hatte ich doch einen ganz anderen Pyjama an.«
»Das ist jetzt schon der dritte. Die beiden anderen hast du völlig durchgeschwitzt. Du hast mehr als vierundzwanzig Stunden gelegen, aber ich bezweifle, daß du gut geschlafen hast.«
Die Uhr zeigte halb elf, es war also inzwischen der nächste Vormittag. Ich hatte einen ganzen Tag meines Lebens buchstäblich verschwitzt! Ich krabbelte aus dem Bett, und Simon wußte nicht, ob er mir helfen oder mich daran hindern sollte.
»Wie lange bist du schon hier?« fragte ich.
»Seit einer Stunde. Ich muß dir eine ganz konventionelle Frage stellen: Wie geht es dir?«
Meine Stimme war wieder meine Stimme. Der Kopf war noch ein bißchen schwer, aber im Gehirn gab es nicht mehr Nebelzonen als normal. Arme und Beine funktionierten.
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